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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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und denjenigen nur hoffen, dass das Kind nach Lea schlug. Vielleicht verlor sie es ja nach der Heirat, aber vor der Geburt, das wäre die Goldlösung gewesen. Silber, wenn es gestorben wäre, bevor es sprechen konnte. Wenn sie sprechen konnten, betrachtete Angus sie als Menschen, vorher als etwas Austauschbares, wie Autobatterien. Seinetwegen durfte es auch überleben, er hatte schon immer vier Kinder zeugen wollen, der Bastard würde zwischen ihnen unsichtbar werden und so gut wie tot sein.
    Angus stach im Nieselregen Torf, er träumte von einer Reise mit Lea, nach Glasgow, sie lagen in einem Hotelzimmer auf dem Bett, und er zeugte das erste seiner vier Kinder. Angus merkte, dass man, um am helllichten Tag träumen zu können, Filme gesehen haben musste, denn weder war er je in einem Hotelzimmer noch in Glasgow gewesen, er kannte das nur aus dem Fernsehen. Angus schliff die Klingen der Schafscheren und träumte vom Waschtag am Samstag, wenn der Bastard und seine vier Brüder in der Badewanne standen, und Angus verglich die Länge der Pimmel, und der Bastard stand ganz schön kurz da.
    Am dritten Tag, nachdem er um Leas Hand angehalten hatte, raspelte Angus in der Mittagssonne mit Schleifpapier die verwitterte Farbe von einer Gartenzaunlatte, und als er das Gesicht in den Wind hielt, um es zu kühlen, sah er Sean auf der Straße vom Hafen her auf sich zurennen. Angus war noch in seinem Traum, in dem er Lea am Sonntagmorgen einen Teller mit Eiern, Speck und Bohnen ans Bett brachte, um ihr zu zeigen, dass er sie liebte und sie also ohne Bedenken etwas tun konnte, das er sich oft vorstellte, wenn er nachts den Steifen runterbringen musste. Sie nahm ihn in den Mund. Das war kein Gerücht, das war möglich, Angus hatte es auf dem Foto gesehen, das Ian Macrae am vorletzten Silvester unter dem Tisch weiterreichte. Als Sean mit offenem Mund vor ihm stand, senkte Angus schamhaft den Blick.
    »Sie ist …«, sagte Sean, er war außer Atem. »Sie ist weg! Lea Murray.«
    Angus packte Sean am Kragen.
    »Ich soll’s dir nur sagen«, japste Sean. »Sie ist abgehauen. Mit der Frühfähre. Die sagen, sie will dein Kind wegmachen. In Deutschland. Der alte Alasdair hat’s aus der Deutschen rausgeprügelt. Er sagte, ich soll’s dir sagen, und dass er gleich kommt. Er sagte, er kommt mit einer Schaufel, und es wär besser, wenn du dann nicht da wärst.«
    Angus gab Sean frei, das Tor zur Scheune stand offen. Es gab da an einem Balken einen Nagel, und auf diesen Nagel lief alles hinaus. Angus blickte auf seine Schuhe, die ihn zur Scheune trugen. Die Schritte geschahen von selbst. Er ging nicht mit gesenktem Kopf, er schaute nur auf seine Schuhe hinunter, die auf so merkwürdige Weise ganz von selbst das Richtige taten. Lea ließ sich das Kind wegmachen, in Deutschland, die kommt nie wieder, dachte Angus, als er durch das Scheunentor in die kühle Dunkelheit trat. Für den alten Alasdair war eine Tochter, die ein Kind wegmachte, schlimmer als gestorben, ein solches Verbrechen wurde in der Bibel nicht einmal erwähnt, es überstieg die Vorstellungskraft Gottes. Lea kam nicht wieder, und ich gehe, dachte Angus. Seit Langem hatte ihn nichts mehr hier gehalten außer eine Art Anstand. Aber jetzt musste er auch einmal an sich denken. Er nahm die Mauser vom Nagel. Ihr Gewicht gab seiner Existenz einen Boden, mit der Waffe in der Hand fühlte er sich auf dem richtigen Weg. Sehr leicht dagegen, wie Spinnennetze, kamen ihm seine Träume der letzten Tage vor, die Heirat mit Lea, das Frühstück am Bett, die vier Kinder, die er hatte zeugen wollen, das alles war gegen das, was jetzt geschehen würde, schwach und nicht wirklich. Und es war Hochstapelei, denn Lea stand ihm nicht zu, die Mauser hingegen schon. Er fühlte sich als ehrlicher Mensch, als er sich den Lauf in den Mund schob, und bevor er abdrückte, hatte er das Bild eines Spaliers der Engel vor Augen, die alle im selben Moment die Posaunen hoben und einen einzigen Ton bliesen.

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    12
    D ER TISCH WACKELTE, der Kellner hustete in die Hand, bevor er servierte. Auf den ungepolsterten Stühlen spürte man seine Knochen. Venezianischer Winterwind wehte durch die offene Tür hinein, die kalte Zugluft strich Jensen um den Hals. Anna aber beharrte darauf, dass man nirgends in Venedig so gute Spaghetti Vongole bekomme wie hier. Das Ambiente, wie sie es nannte, sei von zweitrangiger Bedeutung. Jensen entdeckte auf der Karte Sogliola, und abends aß er nicht gern Pasta, sofort war Anna

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