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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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das er mitnehmen wollte, war die Zeichnung von Lea. Er bewahrte sie in seinem Buch über Schafzucht auf, es hieß »Schafzucht heute«, und die Zeichnung passte exakt zwischen die Seiten. Wäre die Zeichnung größer gewesen, hätte er sich ein anderes Versteck suchen müssen, denn er besaß nur dieses eine Buch. Angus holte »Schafzucht heute« unter dem Bett hervor. Er betrachtete die Zeichnung mit ganz anderen Gefühlen als sonst. Sie gehörte nicht mehr ihm. Lea hatte nämlich den anderen auch gezeichnet, das stand für Angus fest. Sie hatte ihn bestimmt sogar mehr als einmal gezeichnet, denn mit ihm hatte sie es ja wirklich getan.
    Wirklich, dachte Angus. Wirklich war der Unterschied zwischen einem richtigen Leben und seinem. In seinem geschah nichts wirklich. Außer die Mauser. Sie war seine letzte Chance, einmal etwas Wirkliches zu tun.
    Calum.
    Er hatte ihr das Kind gemacht.
    Wer sonst.
    Und bevor der Mond aufging, wusste das jeder, das konnte gar nicht anders sein. Da draußen wanderten jetzt die Worte von Mund zu Mund, Angus zog die Schultern zusammen. Zwischen seinen Schläfen hörte er die Leute sagen: Hast du schon gehört, Lea Murray ist schwanger von rate mal, nein, nicht vom fetten Angus, von Calum MacLeod, und jetzt mach mal wieder den Mund zu, sonst bauen die Schwalben da ein Nest. Na ja, und sie hat geblutet, verstehst du? Lea Murray hat geblutet. Und jetzt rechne mal zwei und zwei zusammen! Wo bleibt denn da der fette Angus, wie will er sie denn gefickt haben, wenn’s für sie mit Calum das erste Mal war, überleg mal! Der Mistkerl hat uns alle belogen, der hat nicht mal die Hose aufgekriegt, und hinterher prahlt er rum, dass er sie flachgelegt hat. Es wäre besser, er würde sich erschießen, wie will er denn so noch hier leben, du weißt ja, kleine Insel, aber großes Gedächtnis.
    Angus legte die Zeichnung auf seinen Bauch, er wäre gerne so gefunden worden, aber nicht von seiner Mutter oder dem Bruder, sondern von Lea. Sie lag nackt auf dem weißen Bettlaken im Rosalea, und jetzt empfand er etwas dabei. Er konnte nichts dagegen tun, plötzlich hatte er diesen Steifen, der nichts nützte, der viel zu spät kam, es war der blanke Hohn, und es war der Steife eines Feiglings. Er schob sich die Hand in die Hose und drückte den Steifen, er wollte ihn durch Schmerz wegkriegen, Lea leckte sich die eigenen Finger, was sie tatsächlich nicht getan hatte, und ihre Brüste waren tatsächlich auch kleiner gewesen als die, die jetzt den Steifen am Leben hielten. Angus knetete in einer Mischung aus Lust und Wut an dem Ding rum, und weil er so sehr mit Kneten und Leas Brüsten beschäftigt war, konnte er nicht gleichzeitig auch noch die Schritte hören, die sich seiner Zimmertür näherten, sonst hätte er nicht die Hand in der Hose gehabt, als der alte Alasdair die Tür auftrat.
    »Du!«, rief Alasdair, sein rotes Gesicht entflammte den Raum. »Du Dreckskerl wirst sie heiraten!« Alasdair riss Angus am Kragen aus dem Bett hoch, Angus roch den Whiskey, der eine solche Wut erst ermöglichte. Er ließ sich schütteln und ohrfeigen, und am nächsten Tag ging er an den Drähten, an denen er sich befestigt fühlte, gelenkt von irgendeiner Macht zum Haus der Murrays und hielt um Leas Hand an.
    »Den Rest kannst du auch haben«, sagte Alasdair, im Nebenzimmer hörte Angus die Deutsche weinen, Leas Mutter, deren Namen niemand aussprechen konnte. Lea saß auf dem Sofa, die Hände zwischen den Knien. Sie schaute Angus kein einziges Mal an.
    »In einem Monat werdet ihr getraut«, sagte Alasdair. »Und jetzt verschwinde, bevor ich dich umbringe.«
    Alasdair war gottesfürchtig bis auf den letzten Psalm, Angus wusste, dass er sein Leben nur Alasdairs Höllenfurcht verdankte, der Teufel zwinkerte ihm zu. Der wäre nicht der gewesen, der er war, wenn er jemandem etwas geschenkt hätte, das man wirklich wollte. Angus trug sein Leben nach Hause wie eine Pralinenschachtel voll Bockmist. Nur die Neugier hielt ihn von der Mauser ab. Er wollte wissen, warum Lea schwieg. Kurz vor dem Gartentor begegnete er Calum.
    »Tja«, sagte Calum. »Jetzt muss man sich mit dir wohl gutstellen. Bist ja bald ein reicher Mann.«
    Angus strich Calum von der Liste. Man konnte genau genommen alle Junggesellen streichen, denn das schönste Mädchen und Alasdairs Besitz, wer hätte da die Vaterschaft verleugnet? Ein Verheirateter war es, und einer, den es den Kopf gekostet hätte, wenn es rausgekommen wäre. Wer immer es war: Angus konnte für sich

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