Er
beleidigt.
»Der Sogliola ist trocken, sie grillen ihn zu heiß«, sagte sie. Sie trug ein goldfarbenes, seidendurchwirktes Kleid mit tiefem Ausschnitt, den sie sehen ließ, wenn sie die Kaschmirstola neu arrangierte. Das ländliche, rot-weiß karierte Tischtuch erinnerte Jensen an sich selbst, er fühlte sich deplatziert.
»Er isst abends nicht gern Pasta«, sagte Lea, Jensen fand es rührend und impertinent zugleich.
»Am Anfang einer Beziehung geht’s mir auch so«, sagte Frank.
»Ach ja?«, sagte Anna. »Mir kam es eigentlich schon am Anfang immer so vor, als hättest du drei Teller Käsenudeln gegessen.«
Frank zeigte die Zähne. Er arbeitete in der Werbung, sein Hemd stand trotz der Kälte drei Knöpfe offen, er besaß zehntausend Brusthaare. Er war, fand Jensen, ein Mensch, mit dem man während einer längeren Zugfahrt gerne die Zeit totredet, den man aber, kaum ist er ausgestiegen, sofort vergisst.
Der Kellner servierte den Aperitif, Jensen hatte als Einziger Bier bestellt.
Sie stießen an, auf Leas Geburtstag, Anna hielt die Waffenruhe ein, bis alle den ersten Schluck getrunken hatten, dann sagte sie: »Die Italiener finden es barbarisch, vor dem Essen Bier zu trinken. Es verdirbt den Appetit. Aber eine schöne Hose trägst du, Hannes. Steht dir gut.«
Lea drückte unter dem Tisch Jensens Knie. Ihr zuliebe trug er die Cordhose, in der er sich verkleidet fühlte, die ihm aber schöne Momente bescherte, wenn sie in verhaltener Gier darüberstrich.
»Warum trägst du eigentlich nie Cordhosen?«, fragte Anna Frank.
»Warum ist eigentlich niemand zu unserer Hochzeit gekommen?«, sagte Frank.
»Zu unserer Hochzeit? Wann war denn die?«
»Das war ein erster Satz«, sagte Frank. »Für Lea. Zum Geburtstag.« Er stieß mit Lea noch einmal an.
»Danke«, sagte Lea. »Von wem ist er?«
»Von Botho Strauß«, sagte Frank.
»Bist du sicher?«, fragte Lea.
»Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.« Franks Blick war zu absichtsvoll, fand Jensen, die Stimme eine Spur zu sanft.
DU BIST DIE FRAU MEINES LEBENS
Frank war ein Mensch, dem Anpassung abverlangt wurde, im Beruf und von Anna, er konnte sich klare Richtlinien nicht erlauben, keine zu haben erhöhte seine Flexibilität. Menschen ohne klare Richtlinien waren anfällig für Kitsch und Sprichwörter, für Abgedroschenes wie diesen Satz, den vielleicht Frank an Leas Badezimmerspiegel geschrieben hatte.
Anna wickelte sich die Stola enger um die Schultern, einen Moment lang ruhten ihre Finger gespreizt auf dem Stoff. Die rot lackierten Nägel. Jensen fühlte einen Zwick in der Brust und ein Ziehen in der Lende. So wenig er Anna mochte, so gern hätte er ihr manchmal das Kleid aufgeknöpft und ihre weiße, schimmernde Haut geküsst, und sie wusste es. Sie fing seinen Blick auf, spielte mit ihm und warf ihn dann weg.
Es war leicht, im selben Augenblick eifersüchtig und untreu zu sein.
»Wie hieß der Engländer schon wieder?«, fragte Anna. »In den du so unsterblich verliebt warst?«
Leas Finger glitt durch eine Rille von Jensens Cordhosen.
»Rod«, sagte Lea, Jensen zählte die Tage. Drei wollten sie insgesamt in Venedig bleiben, einen hatte er bald hinter sich, die zwei, die vor ihm lagen, schienen unbezwingbar. Die Kombination stimmte nicht. Zwischen Anna und ihm zuckten Blitze, sie stieß ihm glühende Zweige in die Rippen und verlangte gleichzeitig, dass er ihre Schönheit bewunderte und sie mehr begehrte als Lea. Frank war austauschbar, er war niemandem eine Stütze und hatte auf die Stimmung keinerlei Einfluss. Lea zog in Annas Gegenwart ihre Fühler ein, sie war merkwürdig wortkarg, ließ Anna in vielem den Vortritt, was sonst nicht ihre Art war.
Der Kellner hustete in den Fisch, der trocken aussah, er zog über den drei Tellern mit Spaghetti Vongole tapfer die Nase hoch. Während sie aßen, steigerte sich Anna in Leas Vergangenheit mit diesem Rod hinein, sie schilderte ihn als groß gewachsen, sensibel, ein Arzt aus Brighton, ein Schrank voller Cordhosen.
»Der einzige Mann, der dich je verlassen hat«, sagte Anna, ihr klebte ein Spaghettiteilchen unter der Lippe, es bewegte sich beim Sprechen. »Denkst du noch manchmal an ihn? Ich meine, wenn er jetzt hier reinkäme, würdest du dann wieder mit ihm schlafen wollen?«
»Lass mich mal überlegen«, sagte Lea. Sie aß mit der linken Hand, die rechte ging Jensen jetzt zu weit. Begrabschte sie ihn oder Rod oder einfach nur eine gefüllte Cordhose? Und warum wies sie Anna nicht
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