Er
lange. Es war ja nicht so, dass wir’s nicht genossen hätten.«
»Ja«, sagte Jensen. Es kam ihm vor, als stünde Lea nackt auf der Straße, jeder konnte ihre Blinddarmnarbe sehen, jeder hatte ihren Geruch an den Fingern. »Und dann?« Jensen fror.
»Dann stand ich auf«, sagte Frank. »Lea schlief schon. Ich hatte Durst. Ich holte mir ein Glas Wasser und ging in Leas Wohnzimmer. Ich fand es toll, Wasser zu trinken und mir dabei die Fische im Aquarium anzuschauen. Na ja, und dann sah ich auf ihrem Schreibtisch eine Menge Blätter. Es waren Zeichnungen. Sie hatte vergessen, sie wegzuräumen, weil ich am Abend überraschend aufgetaucht war und wir dann gleich ins Bett gingen. Und jetzt lagen da all diese Zeichnungen. Ein paar waren signiert. Es war also klar, dass sie sie gemacht hatte. Ich dachte noch, die ist ja echt talentiert, und plötzlich stand sie in der Tür. Rote Haare, roter Kopf. Ich sagte, hey, du zeichnest ja toll, und sie beschimpft mich, schreit mich an, was ich da tue, warum ich da rumschnüffle, ich soll mich verpissen. Ich hab sie noch nie so wütend gesehen, vorher nicht und nachher auch nicht. Sie hat meine Kleider ins Treppenhaus geschmissen, meine Schuhe, den Mantel. Ich musste mich draußen vor ihrer Haustür anziehen. Na ja, das war dann auch das Ende unserer kleinen Affäre.«
»Sie war wütend, weil du dir die Zeichnungen angeschaut hast?«
»Genau.«
Frank legte die Hand auf Jensens Schulter.
»Und wenn du wüsstest, was sie gezeichnet hat, würdest du verstehen, warum ich froh bin, dass du nicht nur wegen Lea nach Berlin ziehst.«
»Was hat sie denn gezeichnet? Gartenzwerge?« Damit fügte er Lea eine kleine Verletzung zu, er genoss es.
»Du bist ein netter Kerl«, sagte Frank. »Wirklich.« Er strich mit kalten Fingern über Jensens Wange. »Aber ich hab schon viel zu viel gesagt. Und ich hoffe, dir ist klar, dass Lea dich verlässt, wenn sie erfährt, worüber wir gerade gesprochen haben. Am besten vergisst du es gleich wieder. Und jetzt pass mal auf.«
In einer wendigen Bewegung pflückte er den kleinen Hund von der Straße. Er klemmte ihn unter dem Arm ein und hielt ihm die Schnauze zu. Der Hund wand sich, sein ersticktes Knurren hallte in der Gasse. Frank trug seine Beute zum Kanal.
»Ja, du bist tapfer«, sagte Jensen. »Und jetzt lass ihn laufen.«
»Damit hat er nicht gerechnet«, sagte Frank, dessen Stimme vor Anstrengung heiser war. »Man muss immer auf der Hut sein. Von jetzt an weiß er das.«
»Das wusste er schon vorher, lass ihn los. Komm!«
»O Mann!«, sagte Frank. »Früher habe ich mich nicht mal getraut, einen Hund zu streicheln. Die haben mir immer eine Heidenangst eingejagt, diese Scheißviecher. Und schau mal, was ich jetzt mit ihm anstelle. Der hat ziemlich Kraft in den Kiefern, ich muss ganz schön zudrücken. Mal sehen, ob er schwimmen kann.«
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13
S IE PICKTE KERNE aus der Handfläche. Ihr Hintern presste die Beine eines Plastikstuhls auseinander. Unter jedem ihrer kirschgroßen Augen hockte eine braune Warze. Bei dieser Affenkälte trug sie Pantoffeln. Der Rand ihres schwarzen Kopftuchs schwebte über ihren Augen. Wenn sie grinste, fehlten ihr vorn zwei Zähne. Es fiel Angus schwer, die Frau als Ganzes zu sehen, sie bestand aus lauter kuriosen Einzelteilen. So ging es ihm bei Ausländern immer, nicht gerade bei Briten, aber solchen wie ihr. Immerhin kostete das Bier nur halb so viel wie auf Lewis, dafür war es bitter.
»Das ist Pils«, sagte Sean, als ob der Name etwas daran geändert hätte.
»Es schmeckt wie was gegen Geschlechtskrankheiten«, sagte Angus.
Sie standen an einem runden Tischchen direkt am Fenster. Die Scheibe zitterte, wenn draußen die Laster vorbeifuhren.
»Die fahren ganz schön schnell«, sagte Angus. »Gibt’s hier keine Kinder?«
Er tunkte die deutsche Wurst ins Ketchup, etwas Fremdes in etwas Vertrautes.
»Schmeckt nach gar nichts«, sagte er.
»Bock…«, las Sean von der Kreidetafel ab, die an der Wand hing. »…wurset. Bockwurset. So heißt das. Mir schmeckt sie. Ist sehr würzig.«
»Und jetzt?«, fragte Angus.
»Wir warten.« Sean zog am Reißverschluss seines Anoraks, und Angus konnte sehen, dass er darunter ein weißes Hemd trug.
»Hast dich fein gemacht«, sagte Angus.
Sean biss ein Stück Wurst ab und tat, als habe er Wachs in den Ohren.
»Das Hemd«, sagte Angus. »So was trägst du doch sonst nur sonntags. Willst du ihr gefallen? Na ja, wenn’s was nützt, soll es mir recht sein.« Es war
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