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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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auf den Schreibtisch, er öffnete sich wie von selbst an der richtigen Stelle.
    Die Zeichnung passte exakt zwischen die Seiten.
    Jensen zog sie hervor.
    Ein bisschen Licht von der Lampe, die das Aquarium beleuchtete, war alles, dennoch erkannte Jensen einen Kopf mit männlichen Proportionen. Und schon war er überzeugt, den Rivalen vor sich zu haben. Den anderen, dessen Anwesenheit er als stummes Summen wahrnahm, eine lautlose, vibrierende Präsenz, ein Schatten um Leas Augen, ein Zögern, bevor sie ihn küsste. Jensen ertastete eine Lücke, dort wo zwischen zwei Seiten mehrere Zeichnungen versteckt waren, wieder der Rivalenschädel. Mehr wollte er vorläufig nicht sehen.
    Hier auf diesem Stuhl saß sie und widmete einem Mann Zeit, indem sie ihn zeichnete. Sie war nicht der Mensch, der sich für sein Talent schämte, das konnte man ausschließen. Sie zeichnete nicht heimlich, weil sie die Ergebnisse für zu gering hielt. Sondern weil ein Betrug dokumentiert wurde.
    Jensen legte mehrere Zeichnungen nebeneinander, das Licht der Aquariumslampe genügte, um die Serie zu erkennen, das Manische. Im Halbdunkel litt er, das Undeutliche linderte den Schmerz, vielleicht täuschte er sich ja und sie hatte Goethe gezeichnet oder Al Pacino. Um sich die Hoffnung zu erhalten, knipste er das Licht nicht an. Zwischen Hoffnung und Schmerz empfand er die Eifersucht als etwas noch Persönlicheres als die Liebe. Die Liebe wurde mit jemandem geteilt, die Eifersucht erlebte man ausschließlich mit den eigenen Knochen, und dieses Leiden, das so viel verlässlicher war als die Liebe, hatte seinen qualvollen Reiz. Manchmal, wenn er besonders stark in Lea verliebt war, ängstigte ihn der Verlust der Freiheit, der mit der Liebe verbunden war. Wenn er sie liebte, zerfloss er, er verlor seine Kontur, alles, was ihn ausmachte, begann zu tröpfeln, und er hoffte, dass Lea das geeignete Gefäß war, um ihm wieder feste Form zu verleihen. Liebe war zunächst Verflüssigung und dann ein Erwachen in neuer Form, und dieser Prozess war nur möglich durch eine süße Selbstentmündigung. Ein Liebender war ein wunderbares liquides Geschöpf, das sich selbst zu einem Teil aufgegeben hatte, um sich einem anderen ganz anzunähern. Es war nicht Freiheit, die man suchte, sondern Erfüllung.
    Jetzt aber, da Jensen in starrer Haltung vor diesen dunklen Zeichnungen saß, warf die Eifersucht ihn auf sich selbst zurück und ließ ihn wieder spüren, wie schön es war, frei zu sein. Aus einem liquiden Wesen verwandelte er sich in einen Eiswürfel. Er verlor Wärme, gewann aber an Festigkeit. Er knirschte fast, während sich die in der Liebe aufgeweichten Strukturen wieder verhärteten und jeder Balken in ihm den alten Platz einnahm.
    Jensen war ganz bei sich, es war ein transzendentaler Augenblick, aber ein sehr schmerzhafter. Eifersucht war Kompression. Aber ohne Druckventil. Sie komprimierte einen zunächst, bis man wieder der Alte war. Aber die Kompression hörte nicht auf, man wurde immer enger und kleiner und härter, bis sämtliche Nerven sich aneinanderrieben. Als der Druck zu stark, der Schmerz zu heftig wurde, knipste Jensen die Schreibtischlampe an. Licht war seine letzte Hoffnung. Im Licht zeigte sich vielleicht, dass es doch nur Studien waren, Skizzen, schematische Männerköpfe ohne Individualität oder eben Goethe, Al Pacino. Er war ihr Lieblingsschauspieler, sie besaß alle Filme mit ihm, sie sagte: »Das Schönste ist, ihm beim Altwerden zuzuschauen.«
    »Würdest du mit ihm schlafen?«, hatte Jensen gefragt.
    »Was für eine dumme Frage. Ich weiß doch gar nicht, ob er nicht vielleicht aus dem Mund riecht. Ich kann nicht mit Männern schlafen, die Mundgeruch haben. Ich würde ihn höflich bitten, drüben auf dem Sofa zu übernachten.«
    Das Licht fiel auf die Zeichnungen.
    Jensen fehlte der Mut, um hinzusehen.
    Dass sie in mädchenhafter Schwärmerei abends Al Pacino zeichnete, war eine süße Illusion. Pacino gefiel ihr als zweidimensionales Abbild eines Mannes, der andere Männer darstellte. Sie war zu klug, um auf ihre eigenen Träume reinzufallen.
    Dann schaute Jensen hin.
    Die Zeichnungen lagen in einer unordentlichen Reihe, die Blätter überlappten sich.
    Es war nicht Al Pacino.
    Es waren keine Studien.
    Jensens Befürchtungen bestätigten sich. Und dennoch hatte er sich auf groteske Weise geirrt.
    Die Zeichnungen zeigten einen Mann. Frontal, im Profil, halbschräg. Es war immer derselbe Mann.
    Es war immer Jensen.
    Lea saß abends an diesem

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