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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Es zischte auf der Herdplatte, wenn die Milch überkochte.
    Die Alte war mit Angus zufrieden.
    Sie lächelte, nickte.
    »Gut«, sagte sie. »Gut!«
    Er holte sich schon die dritte Bockwurset, sie pumpte aus einem Spender Ketchup auf die Pappunterlage.
    Sean verzog das Gesicht, als Angus die Wurst auf den Tisch stellte.
    »Ich muss mal an die frische Luft«, sagte Sean.
    »Ist schon klar«, sagte Angus, und mit dem A in klar entwich ihm ein Rülpser, weil er zu schnell gegessen hatte, und zwar, weil die Wurst ihm schmeckte.
    »Hast du’s gehört?«, fragte er. »Ich hab gerülpst. Kommt bei mir selten vor.«
    »Ja, Angus«, sagte Sean mit winzigem Mund und engen Augen. »Ich hab’s gehört. Ich geh dann mal nach draußen. Vielleicht hol ich mir auch noch was in der Apotheke. In einer halben Stunde bin ich zurück.«
    Es war Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
    Angus beobachtete die Lastwagen. Zweihundert Meter weiter links gab’s eine Ampel, deswegen kamen die Laster in Wellen. Sie stauten sich an der Ampel, bei Grün brachen die Dämme, die Fahrer drückten das Pedal durch. Und genau hier, zwischen der Imbissbude und Leas Haus drüben erreichten sie die volle Innerortsgeschwindigkeit.
    Warst du mal im Theater, Angus?
    »Nein«, murmelte er. »War ich noch nie.«
    Das ist nicht wie im Kino, Angus. Ins Kino nimmt man die Jacke mit rein. Aber im Theater gibt man sie an der Garderobe ab.
    »Die feinen Herrschaften«, sagte Angus.
    Und so musst du es dir vorstellen: Du gibst alles ab. Deine Jacke, deine Hose, der Tod zieht dir sogar die Socken aus. Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern. Du gibst die Erinnerungen ab, die Schuld, da ist eine sehr große Garderobe, da hat dein ganzes Leben drin Platz. Angus, jetzt mal ehrlich: Ist das nicht wunderbar?
    »Doch«, sagte Angus.
    Sean hatte die Tür offen gelassen, die Lastwagen pressten im Vorbeifahren den Regen auf den Gehsteig, es zischte. Die Araberin schlurfte zur Tür und schloss sie.
    Noch eine Wurst krieg ich nicht runter, dachte Angus.
    Er dachte an Lea und wie gemütlich es gewesen wäre, mit ihr zu sterben. Aber man konnte nicht alles haben.
    Nach einer Weile kam Sean auf quietschenden Schuhen zurück, sie waren mit Regen vollgelaufen.
    »Ich hab mit Ross gesprochen«, sagte Sean.
    »Kann ich mir denken.« Es interessierte Angus nicht mehr.
    »Alasdair geht’s gut. MacLeod sagt, dass er’s vielleicht doch in den kommenden Monat schafft. Aber länger nicht.«
    »Manchmal geht’s schneller, als man denkt«, sagte Angus.
    Sean rieb sich den Magen.
    »Alasdair fragt jeden Tag nach uns«, sagte er. »Ob wir schon was erreicht haben bei Lea. Ich hab Ross gesagt, er soll ihm sagen, dass Lea für ein paar Tage weggefahren ist und wir deshalb noch nicht mit ihr sprechen konnten. Wir müssen den richtigen Moment erwischen. Wenn ich Alasdair zu früh sage, dass sie das Foto nicht veröffentlichen wird, erfährt er vielleicht, dass es nicht stimmt. Könnte ja sein, dass er sie anruft, um sich bei ihr zu bedanken. Ideal wär’s, wenn ich’s ihm einen Tag vor seinem Tod sage, wenn er noch aufnahmefähig ist, aber Lea nicht mehr anrufen kann.«
    »Was du dir so denkst«, sagte Angus. Die Wucht der Lastwagen da draußen jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Die von links kamen aus nordwestlicher Richtung.
    »Ross wird mich jedenfalls sofort anrufen, wenn der günstige Zeitpunkt gekommen ist.«
    »Das hast du schon mal gesagt.«
    Sean ächzte. Er stützte sich auf dem Tischchen ab.
    »Das wird einfach nicht besser«, sagte er. »Ich such mir mal eine Toilette.«
    Er fragte die Araberin, und sie öffnete ihm sogar die Toilettentür, kein Wunder, bei dem Geschäft, das sie mit mir macht, dachte Angus. Drei Bockwurset in einer halben Stunde, da rieb sie sich die Hände.
    Sean stolperte über die Schwelle, die Übelkeit machte einen Tollpatsch aus ihm.
    Angus trank einen Schluck Bier. Sein Magen fühlte sich trotz der Würste leer an. Ihm fehlte Blut in den Füßen, sie kribbelten. Der Moment wäre ideal gewesen. Ideal. Ein merkwürdiges Wort, Sean hatte es vorhin benutzt. Ideal, weil Sean sich auf der Toilette eingeschlossen hatte und weder sehen noch hören konnte, was draußen vor sich ging.
    Angus rann der Schweiß in den Kragen. Er trank die Bierflasche leer. Seine Hände zitterten, das machte ihn misstrauisch. Angst war ein starker Strick, aber nicht um den Hals, sondern ums Leben, er war noch vertäut. Er musste erst mal die Taue lösen. Aber mit

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