Er
und da wurde mit Pauken und Konfetti nicht gespart. Der Regen fühlte sich auf seinem Gesicht nur deshalb wie etwas Freundliches an, weil er ihn zum letzten Mal spürte. Die letzte Kirsche schmeckte immer am süßesten.
»Weißt du, wie du mal endest?«, sagte seine Mutter. »Wie dein bescheuerter Großvater.« Liam Morrison hatte mit siebzig im Irrenhaus von Edinburgh Stuhlbeine angenagt, ihm war Holz zur Leibspeise geworden.
»Ich bin nicht verrückt«, sagte Angus.
»Was?«
Sie standen am selben Stehtisch wie gestern, drüben auf der anderen Straßenseite leuchtete Leas Haustür, die heute besonders weiß war, wie Seans Gesicht. Er sah in seinem Anorak aus wie ein Kleiderständer.
»Was sagtest du?«
»Nichts«, sagte Angus. Heute war sein Glückstag. Alles war anders, weil alles zu Ende ging.
»Ich muss ja was essen«, sagte Sean. Er kaute auf einem Brötchen rum mit einem Gesicht, als esse er Seife.
»Wer nichts isst, hat nichts zu spucken«, sagte Angus. Wenn jemand für sehr lange Zeit verreist, werden Luftballone an die Wand gehängt, es gibt Kuchen, jemand liest ein Gedicht vor, nur für dich, dachte Angus, und irgendeine, die dir vorher die hohe Nase gezeigt hat, küsst dich auf den Mund. So kam es ihm vor, als er die Wurst aß, die die Araberin mit einer Zange auf eine Pappunterlage gelegt hatte.
»Die ist lecker«, sagte er. Er konnte es nicht fassen.
»Ist die gleiche wie gestern«, sagte Sean, seine Lippen waren blau.
»Ja. Aber jetzt schmeckt sie.«
Angus hatte Hunger, das war aber nicht der Punkt. Er setzte sich immer mit ordentlichem Appetit an den Tisch, das war es nicht. Er füllte am Tisch seinen Magen, so wie man Erde in einen Sack schaufelt. Er konnte sich nicht erinnern, wann er die Freude am Essen verloren hatte. Das war auch egal, er würde sich bald an überhaupt nichts mehr erinnern. Aber er würde mit dem Geschmack dieser köstlichen Wurst auf der Zunge sterben, das war Angus klar.
»Die ist wirklich lecker«, sagte er, er wischte sich den Saft aus den Mundwinkeln, er leckte sich die Finger ab. Er hätte seine Finger gegessen, wenn in der Auslage nicht noch genügend Würste vorrätig gewesen wären.
»Ich hol mir gleich noch eine«, sagte er mit vollem Mund. Sean wandte sich ab.
»Ja. Aber red nicht drüber. Davon wird mir schlecht.«
»Lies doch ein Buch«, sagte Angus, seine Füße berührten den Boden nicht. Er schwebte zur Alten, zeigte auf den leeren Pappteller und sagte auf Englisch: »Wurst.«
»Sauce?«, fragte sie. »Ketchup?«
»Nein. Wurst. Bockwurset.« Angus klopfte ans Glas der Auslage.
»Schmeckt’s dir nicht?«, fragte Alison vor so vielen, verschwendeten Jahren.
»Doch«, sagte Angus. Reichte es denn nicht, wenn er viel aß? Er transportierte das Zeug vom Teller in seinen Mund.
»Du könntest mal sagen, dass es dir schmeckt.«
»Sag ich ja. Es schmeckt mir.« Dauernd steckte sie ihren Finger in seinen Kopf und rührte drin rum, wie in ihren Kochtöpfen, stundenlang rührte sie und sang zur Musik aus dem Radio. Sie hatte eine schöne Stimme, aber sie konnte sich den Text der Lieder nie merken und sang mit einem halben Satz Verzögerung. Wenn sie im Garten die Wäsche aufhängte, stellte sie sich auf die Fußspitzen, dann spannte sich ihr Hintern unter dem geblümten Hauskleid. Wenn man das jeden Dienstag und jeden Samstag sah, wollte man sterben, denn man wusste, dass nichts Neues mehr kam.
»Das sagst du nur so«, sagte Alison. »Du sagst, dass es dir schmeckt, aber du rülpst nie.«
»Ich rülpse eben nicht.«
»Man rülpst, wenn man zu schnell isst. Und man isst zu schnell, wenn es einem schmeckt und man nicht genug davon bekommt. Wer nicht gern isst, der nicht gern küsst.«
Sie stand auf und weinte. Sie schlug die Schlafzimmertür zu. Er hörte ihr Schluchzen. Er aß die Bohnen, das Fleisch, er kratzte die Reste aus den Töpfen zusammen, damit sie, wenn sie sich ausgeheult hatte, sah, dass es ihm geschmeckt hatte. Sie warf im Schlafzimmer etwas an die Wand, dem Geräusch nach ein Buch. Einen ihrer Liebesromane. Er saß allein am Tisch und versuchte zu rülpsen. Ihr Besteck lag quer auf dem Teller, und aus irgendeinem Grund konnte er den Blick nicht davon abwenden. Die Zacken der Gabel auf dem Tellerrand, das Messer im Schnitt fallen gelassen. Das Bild verschwamm vor seinen Augen, und dann zerplatzte eine Träne auf seiner Hand. Das Unglück war in den Fugen dieses Hauses reichlich vorhanden. Es gluckerte manchmal im Abfluss des Spülbeckens.
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