Er
er, denn in der Ankündigung lag Macht. Craig sollte merken, dass er entdeckt war, in seinen letzten Sekunden sollte die Angst ihn brechen. Der Verkehrslärm war aber zu laut für die Gerechtigkeit.
Angus sammelte Atem, um erneut zu rufen. Er fühlte sich leicht, denn alles, was vor ihm lag, wog nichts. Craig war ja schon begraben, der Sarg wurde jetzt nur gefüllt. Einen Mann zu töten, der tot war, war wie Wasser auf Wasser gießen. Die Schuld wurde nicht größer, aber sie bekam endlich Sinn.
Craig küsste Lea auf den Mund.
Angus vertraute seiner Faust.
In der Mitte der Straße rief er nochmals: »Craig!«
Und jetzt hörte Craig es. Craig drehte sich um und schaute Angus an. Dessen Blick war wie ein Netz, Angus hatte es ausgeworfen, und nun wollte er die Beute an Land ziehen. Es konnte ihm nicht schnell genug gehen. Fast hätte er die andere Straßenseite erreicht. Aber ein weißer Lieferwagen sprang ihn an, und Angus dachte noch: »Aus Nordwest.«
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20
S IE SETZTE IHN mit Dame, Turm und Springer matt.
»Du spielst unkonzentriert«, sagte sie.
»Ich bin verliebt«, sagte er.
Sie setzte sich neben ihn und fuhr mit dem Finger über seine Augenbrauen.
»Färbst du sie?«
»Nein.«
»Ich bin auch verliebt«, sagte sie. »Aber deswegen höre ich nicht auf, sechs Züge im Voraus zu denken.«
»Ich bringe es sowieso nur auf drei. Für mich ändert sich mit der Liebe nicht viel. In dieser Hinsicht.«
»Wir haben noch eine Stunde Zeit«, sagte sie.
Er küsste ihren Hals.
»Ich mach uns einen Tee.« Sie stand auf und ging in die Küche, in weißen Socken, die über ihre Knöchel rutschten. Jensen schaute ihr nach, mit Freude und Wehmut. Ihr Rücken geriet beim Gehen in eine sanfte Schwingung, die er gerne mit seinen Händen aufgehalten hätte. Lea mochte es, wenn er sie zur Ruhe brachte. Sie trafen sich oft in der Mittagspause in ihrer Wohnung, sie kam mit rasselndem Schlüsselbund aus ihrem Blumengeschäft, ihre Anspannung ließ die Bilder an der Wand wackeln, die Aushilfe hatte sich die Fingerkuppe weggeschnitten, die Kunden bleckten, weil Vollmond war, die Zähne, die Kassenschublade klemmte. Und dann legte Lea ihren Kopf auf Jensens Schoß und schlief sofort ein.
Sie stellte zwei Teetassen auf den Tisch, aber keinen Zucker. Sie rauchte ab und zu eine Zigarette, aber beim Zucker blieb sie hart, auch stellvertretend für Jensen, dem Tee nur mit Zucker schmeckte.
»Ich habe noch nie mit einem Mann Schach gespielt«, sagte sie.
»Nein?«
»Ich meine, noch nie mit einem, mit dem ich geschlafen habe. Ich dachte immer, dass man das trennen sollte. Aber jetzt werde ich alt und muss ökonomischer denken.«
»Ökonomischer?«
»Ja. Schau mal, früher, bevor ich Toni bekam, hatte ich Zeit genug, um mich in der Woche zweimal mit Freundinnen zu treffen. Mit Anna, mit Linda oder Ida. Und dann noch zweimal mit einem Mann. Einen von ihnen, er hieß Lorenz, habe ich nach dem Sex mal gefragt, wie er sich jetzt fühlt. Er sagte: Das ist doch wohl meine Sache! Ich hab gleich Anna angerufen und es ihr erzählt. Mit Männern konnte man eben nicht sprechen, das war mir aber damals auch nicht wichtig.«
Jensen betrachtete ihre Lippen, er war hingerissen von ihrem schönen Schwung.
»Lorenz war süß, er hatte schöne, schwarze Haare, Wimpern, so lang.« Sie zeigte Jensen, wie lang Lorenz’ Wimpern waren. »Er trug beige Cordhosen, und sein Hintern war extrem knackig. Wer will denn mit so was reden? Aber dann kam Toni und kurz darauf die Trennung von ihrem Vater. Ich hab mit dem Baby im Arm das Blumengeschäft eröffnet, verstehst du? Zur selben Zeit arbeitete Anna an ihrer ersten Kollektion. Linda verliebte sich in Moritz, einen Kameramann, der nach jedem Film ein Kind mit ihr zeugte. Und er war damals beim Fernsehen und filmte Serien. Das kam bei Linda im Wochentakt. Jetzt hat sie das vierte gekriegt, und einmal im Monat ruft sie mich an, sagt Hallo und kriegt einen Heulkrampf. Ich bin vierzig, Hannes. Ich habe ein Geschäft, ein Kind und keine Zeit mehr für meine Freundinnen. Und sie haben keine Zeit mehr für mich. Mit wem soll ich über meine Männer sprechen? Das meinte ich mit ökonomischer. Jetzt ist ein ganz anderer Typus Mann gefragt. Einer, der mir die Freundinnen ersetzt. Einer, mit dem ich schlafen und reden kann. Und er muss zuhören können. Und das kannst du. Du bist alles in einem, Mann und Freundin, und das spart Zeit. Ich bin sehr verliebt in dich.«
Ihre Sachlichkeit war
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