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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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weißgekleidete Frau. Sie war angespannt, und die Falten um ihren Mund vertieften sich. Ihre Zweifel an dieser Aktion waren nicht zu übersehen. Er musste aufhören, durfte sich nicht davontragen lassen. Sie war viel stärker ins Spiel vertieft als Uffe. Uffe mit seinem sonnigen Gemüt war mit sich selbst beschäftigt und kümmerte sich nicht um die Umgebung.
    »Pass auf, Vater«, sagte Carl mit heller Frauenstimme. »Es ist glatt, du kannst rutschen.« Er ruckte ein bisschen am Auto. »Pass auf, da kommt ein Auto, das rutscht auch. Hilfe, wir stoßen zusammen.«
    Er ahmte Bremsgeräusche nach und Metall, das an einer Unterlage entlangschrammt. Jetzt sah Uffe der Darbietung zu. Da ließ Carl den Wagen umkippen, und die Figuren purzelten auf die Erde. »Pass auf, Merete, pass auf, Uffe!«, rief er mit heller Stimme, und die Oberschwester beugte sich vor und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Ich glaube nicht ...«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Jeden Augenblick würde sie Uffe an die Hand nehmen und mit sich fortziehen.
    »Päng!«, sagte Carl und ließ den Wagen durchs Gras kullern. Aber Uffe reagierte nicht.
    »Ich glaube, er ist nicht bei der Sache«, sagte Carl und versicherte ihr mit einer Handbewegung, dass die Vorstellung beendet war.
     »Ich habe ein Foto, das ich Uffe gern zeigen möchte. Ist das in Ordnung?«, fuhr er fort. »Dann lasse ich euch auch in Ruhe.«
    »Ein Foto?«, wiederholte sie fragend, während er die Bilder aus der Plastiktüte zog. Dann legte er die beiden Fotos, die ihm Dennis Knudsens Schwester ausgeliehen hatte, beiseite ins Gras und hielt Uffe die Broschüre mit Daniel Hales Porträt vors Gesicht.
    Es war ganz offensichtlich, dass Uffe neugierig war. Wie die Tiere im Zoo, die nach Tausenden von verzerrten Gesichtern endlich etwas Neues sehen.
    »Kennst du den, Uffe?«, fragte er und sah ihm aufmerksam ins Gesicht. Schon ein geringfügiges Zucken könnte womöglich das einzige Signal sein, das er bekam. Falls es überhaupt einen Tunnel hinein in Uffes apathisches Bewusstsein gab, musste Carl dafür sorgen, ihn zu finden.
    »War der bei euch zu Hause in Magleby, Uffe? War der Mann bei euch und hat dir und Helle einen Brief gebracht? Erinnerst du dich an ihn?« Er deutete auf Daniel Hales leuchtend blaue Augen und das blonde Haar. »War er das?«
    Uffe starrte mit leerem Blick auf das Bild. Dann wanderten seine Augen weiter, bis zu den Fotos, die im Gras lagen.
    Carl folgte seinem Blick und registrierte, wie sich Uffes Pupillen mit einem Mal zusammenzogen und sich die Lippen öffneten. Wie er plötzlich stark reagierte, so real und so sichtbar, als wäre ihm der Wagenheber auf die Zehen gefallen.
    »Was ist mit ihm, Uffe, hast du ihn schon mal gesehen?«, sagte er und hielt ihm rasch das Foto von der Silberhochzeit mit Dennis Knudsen vors Gesicht. »Hast du?« Er spürte, wie sich die Krankenschwester hinter ihm erhob, aber es war ihm egal. Er wollte noch ein weiteres Mal sehen, wie sich Uffes Pupillen zusammenzogen. Es war, als hätte man einen Schlüssel in der Hand und wüsste auch, dass er irgendwo passte, man wusste nur nicht, wo.
    Aber Uffe sah auf und war wieder ganz ruhig. Der Blick war leer.
    »Ich glaube, wir sollten jetzt aufhören«, sagte die Oberschwester und griff vorsichtig nach Uffes Schulter. Vielleicht hätte Carl nur noch zwanzig Sekunden mehr gebraucht. Vielleicht wäre er an Uffe herangekommen, wenn er mit ihm allein gewesen wäre.
    »Haben Sie seine Reaktion nicht gesehen?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf.
    Verfluchter Mist. Er legte das gerahmte Foto auf die Erde, neben das zweite Foto, das er in Skævinge ausgeliehen hatte.
    In dem Moment zuckte und ruckte es in Uffe. Erst nur im Oberkörper, dann im rechten Arm, der sich vor das Zwerchfell legte.
    Die Krankenschwester wollte Uffe beruhigen, aber er beachtete sie nicht. Dann fing er an, kurz und oberflächlich zu atmen. Carl und die Schwester hörten es beide, und die Schwester begann lautstark zu protestieren. Aber in dem Augenblick waren Carl und Uffe allein. Uffe war noch in seiner Welt, aber unterwegs in die, die Carl ihm vorspielte. Carl sah, wie seine Augen langsam groß wurden. Wie der Verschluss bei einer alten Kamera, der sich öffnet und die gesamte Umgebung in sich aufnimmt.
    Uffe sah wieder nach unten, und diesmal folgte Carl seinem Blick ins Gras. Jetzt war Uffe vollständig da, ganz und gar in ihrer Welt.
    »Also kennst du ihn?«, fragte Carl und zog wieder das Bild von Dennis

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