Erbarmen
siebenundzwanzig noch bei Vater und Mutter.«
Carl verzog warnend die Augenbrauen. Es war jetzt nicht ganz der richtige Zeitpunkt für Assads Kulturstudien aus dem Mittleren Osten. »Und du hast auch eine gute Nachricht, sagtest du.« Jetzt schien Assads Gesicht tatsächlich fast zu platzen. Vermutlich vor Stolz.
»Hier«, sagte er und reichte Carl einen schwarzen Plastiksack, den er neben sich auf dem Fußboden abgestellt hatte. »Aha. Und was ist nun da drin? Zwanzig Kilo Sesamkörner ?« Carl stand auf und steckte die Hand hinein. Er spürte sofort den Griff. Eine ziemlich präzise Vermutung schoss ihm durch den ganzen Körper, und er bekam vor Aufregung Gänsehaut. Dann zog er es hinaus.
Ja, es war genau das, was er vermutet hatte: eine abgewetzte Aktentasche. Mit einem langen Ratscher, wie auf dem Foto von Jonas Hess, und zwar nicht nur auf dem Deckel, sondern auch auf der Rückseite.
»Zum Teufel, Assad!«, rief er und setzte sich langsam. »Ist der Kalender etwa auch da drin?« Als Assad nickte, begann es in seinem Arm zu kribbeln. Ein Gefühl, als hielte er den Heiligen Gral in der Hand.
Einen Moment lang starrte er die Tasche nur an. Immer mit der Ruhe, sagte er zu sich. Dann schob er die Schlösser auf und klappte den Deckel hoch. Es war alles drin. Ihr Filofax mit dem braunen Ledereinband. Ihre Schreibutensilien, ihr SiemensHandy sowie das flache Ladegerät, liniertes Papier mit handschriftlichen Notizen, zwei Kugelschreiber und eine Packung Tempo. Es
war
der Heilige Gral.
»Wie ... ?«, mehr konnte er nicht sagen. Und überlegte, ob die Tasche erst zur näheren Untersuchung bei den Kriminaltechnikern abgeliefert werden müsste.
Assads Stimme schien von weither zu kommen. »Erst war ich bei Helle Andersen, und sie war natürlich nicht zu Hause. Aber dann hat ihr Mann sie angerufen. Er lag mit Rückenschmerzen im Bett. Und als sie kam, zeigte ich ihr ein Foto von Daniel Hale. Aber sie konnte sich nicht erinnern, den Mann jemals gesehen zu haben.«
Carl starrte die Tasche und ihren Inhalt an. Nur Geduld, dachte er. Er würde schon noch irgendwann beim Fund der Tasche ankommen.
»War Uffe da, als der Mann mit dem Brief kam? Hast du daran gedacht, sie danach zu fragen?«, half er Assad auf die Sprünge.
Assad nickte. »Ja. Sie sagt, dass er die ganze Zeit neben ihr stand. Er war sehr gespannt. Das war er immer, wenn es an der Tür klingelte.«
»Fand sie denn, dass der Mann mit dem Brief wie Hale aussah?«
Er krauste ein wenig die Nase. Ausgezeichnet nachgeahmt. »Ein bisschen. Der Mann mit dem Brief war wohl nicht ganz so alt, die Haare waren etwas dunkler, und er wirkte maskuliner. Irgendwas mit Kinn und Augen und so. Mehr konnte sie nicht dazu sagen.«
»Und dann hast du also nach der Tasche gefragt.«
An dieser Stelle erschien wieder das Lächeln von vorhin. »Ja. Sie wusste nicht, wo sie ist. Sie konnte sich gut an die Tasche erinnern, aber sie wusste nicht, ob Merete Lynggaard sie an diesem letzten Abend mit nach Hause gebracht hatte.«
»Assad, nun komm zur Sache. Wo hast du sie gefunden?«
»Bei der Ölheizung in ihrem Hauswirtschaftsraum.«
»Du bist in dem Haus in Magleby gewesen? Bei den Antiquitätenhändlern?«
Er nickte. »Helle Andersen sagte, dass Merete Lynggaard jeden Tag alles ganz genau gleich machte. Das war ihr im Lauf der Jahre aufgefallen. Immer ganz genau gleich. Die Schuhe zog sie im Hauswirtschaftsraum aus. Aber zuallererst sah sie immer durchs Fenster. Also zu Uffe hinein. Sie zog jeden Tag sofort ihre Kleidung aus und legte sie neben die Waschmaschine. Nicht weil die Sachen schmutzig waren, sondern einfach nur, weil sie immer dort lagen. Sie zog da auch immer gleich ihren Morgenmantel an. Und sie und ihr Bruder sahen sich immer denselben Videofilm an.«
»Und die Tasche, was ist mit der Tasche?«
»Ja, Carl, also das wusste die Familienhelferin auch nicht. Sie hatte nie gesehen, wo Merete die Tasche abstellte, aber sie meinte, entweder im Flur oder dort im Hauswirtschaftsraum.«
»Wie zum Teufel konntest du die Aktentasche bei der Heizung im Wirtschaftsraum finden, wo doch die Mobile Einsatztruppe alles durchgekämmt und nichts gefunden hat? War sie schwer zu entdecken? Oder warum hat sie sonst immer noch dagelegen? Ich war eigentlich ziemlich überzeugt, dass die Antiquitätenhändler es mit dem Saubermachen recht genau nehmen. Wie hast du das angestellt?«
»Die Antiquitätenhändler haben mir erlaubt, dort ganz allein herumzugehen. Und dann habe ich
Weitere Kostenlose Bücher