Erbarmen
»Nichts könnte uninteressanter sein, als was das Radikale Centrum zu unseren Steuern zu sagen hat.«
»Ich brauche eine etwas genauere Zeitbestimmung.«
»Das wird schwierig. Tage Baggesen sondert alle zwei Sekunden einen Gesetzesvorschlag ab.« Er lachte. »Nein, Spaß beiseite. Tage Baggesen ist seit mindestens fünf Jahren Sprecher für Verkehrspolitik. Ich weiß nicht, wann er sich von dem Posten als finanzpolitischer Sprecher zurückgezogen hat. Warte mal kurz.« Er nahm den Hörer vom Ohr und sprach in den Raum. Nach einigem Hintergrundmurmeln hörte Carl wieder seine Stimme: »Wir glauben, das war Anfang 2001, noch unter der alten Regierung. Da hatte er für solchen Unfug ein bisschen mehr Zeit. Schätzungsweise März oder April 2001.«
Carl nickte zufrieden. »Okay Kurt. Das passt ausgezeichnet zu dem, was ich glaube. Danke, alter Knabe. Du kannst mich wohl nicht zu Tage Baggesen durchstellen, oder?«
Es tutete einige Male im Hörer, dann hatte er eine Sekretärin am Apparat, die ihm mitteilte, Tage Baggesen befinde sich im Ausland, eine Studienreise durch Ungarn, die Schweiz und Deutschland. Es ginge um das Schienennetz. Am Montag sei er zurück.
Studienreise? Schienennetz ? Das konnten sie anderen erzählen. Er, Carl, nannte so etwas Urlaubsreise.
»Würden Sie dann bitte so freundlich sein und mir seine Handynummer geben?«
»Ich glaube nicht, dass ich dazu berechtigt bin.«
»Nun hören Sie mal zu, Sie sprechen nicht mit irgendeinem Bauern von Fünen. Wenn es sein muss, bekomme ich die Nummer innerhalb von fünf Minuten. Aber ob Tage Baggesen es nicht bedauern wird, wenn er davon erfährt?«
Es knisterte in der Leitung, aber dass Tage Baggesens Stimme nicht gerade begeistert klang, war kaum zu überhören.
»Mir liegen hier ein paar alte Notizen vor, für die ich schnell eine Erklärung brauche«, säuselte Carl. »Reine Routinesache.«
»Und das wäre?« Der spitze Ton war weit von dem bei ihrem Gespräch vor drei Tagen entfernt.
Carl las ihm die Zettel einen nach dem anderen vor. Als er zum letzten kam, war es, als habe Baggesen am anderen Ende aufgehört zu atmen.
»Tage Baggesen?«, fragte er. »Sind Sie noch da?« Dann kam das Besetztzeichen.
Wenn er sich jetzt nur nicht in den Fluss stürzt, dachte Carl und versuchte sich an den Namen des Flusses zu erinnern, der Budapest teilte. Dabei nahm er das Blatt Papier mit den Namen der Verdächtigen von der Tafel und fügte Tage Baggesens Initialen zu Punkt drei hinzu: Kollegen in Christiansborg.
Er hatte die Verbindung kaum unterbrochen, da klingelte sein Telefon.
»Beate Lunderskov«, stellte sie sich vor. Carl hatte keine Ahnung, wer das sein konnte.
»Wir haben jetzt Merete Lynggaards alte Festplatten untersucht, und zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass alles darauf sehr effektiv gelöscht wurde.«
Jetzt dämmerte es ihm. Das war eines der Mädchen aus dem Sekretariat der Demokraten.
»Ich dachte, die alten Festplatten würden aufgehoben?«
»So ist es auch, aber offenbar hatte niemand Meretes Assistentin Søs Norup darüber informiert.«
»Was soll das heißen?«
»Na ja, dass sie es war, die sie löschen ließ. Das hat sie auch fein säuberlich auf der Rückseite bestätigt. Dort steht: >Formatiert am 20.3.2002, Søs Norup<. Ich halte die Festplatte im Moment in der Hand.«
»Das ist ja fast drei Wochen nach ihrem Verschwinden.«
»Ja, das stimmt wohl.«
Dieser verdammte Børge Bak und seine Kumpane. Gab es bei den Ermittlungen überhaupt irgendetwas, das nach Vorschrift gelaufen war?
»Man könnte sie zu einer genaueren Analyse einschicken. Es gibt Leute, die gelöschte Daten wiederherstellen können«, meinte Carl.
»Na ja, das wurde sicher schon gemacht. Einen Moment bitte.« Er hörte ein Kramen im Hintergrund, dann war sie zurück. Ihre Stimme klang zufrieden. »Ja, hier ist der Zettel. Bei Down Under in der Store Kongensgade wurde Anfang April 2002 versucht, die Daten wieder herzustellen. Es gibt eine ausführliche Beschreibung, warum das nicht möglich war. Soll ich das vorlesen ?«
»Das brauchen Sie nicht«, sagte er. »Søs Norup wusste offenbar, wie man das machen muss.«
»Offenbar«, antwortete sie. »Søs Norup ist der Typ Mensch, der allem bis auf den Grund geht.«
Er bedankte sich und legte auf.
Dann saß er eine Weile vor dem Telefon und starrte es an.
Schließlich zündete er sich eine Zigarette an, nahm Merete Lynggaards abgewetzten Kalender vom Tisch und öffnete ihn mit einem fast
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