Erbarmen
dass es einen Entgegenkommenden gibt, der etwa auf der Mittellinie volle Pulle in ihn hineindonnert. Vielleicht sogar absichtlich. Ja, vielleicht hätte man weiter unten auf der Gegenfahrbahn Beschleunigungsspuren finden können, wenn man hundert Meter weiter in die Richtung gegangen wäre. Vielleicht beschleunigte das entgegenkommende Fahrzeug, um ihn perfekt an dem Punkt zu treffen, wo Hale zur Fahrbahnmitte auswich, um nicht in etwas hineinzufahren.«
»Und wenn dieses Etwas ein Mensch ist, der auf die Fahrbahn hinaustritt, und wenn dann diese Person und derjenige, der in Hale hineinfährt, zusammenarbeiten, dann handelt es sich also nicht länger um einen Unfall, sondern um Mord. Und wenn es tatsächlich so war, dann könnte der begründete Verdacht entstehen, dass Merete Lynggaards Verschwinden damit Teil von ein und demselben Verbrechen ist«, folgerte Marcus Jacobsen und notierte etwas auf seinem Block.
»Ja, möglicherweise.« Baks Mundwinkel zeigten nach unten. Es ging ihm nicht gut.
An dieser Stelle stand Carl auf. »Es gab keine Zeugen, also können wir das nicht mehr herausfinden. Im Augenblick suchen wir nach dem Fahrer.« Er wandte sich Bak zu, der in seiner schwarzen Lederjacke fast zu versinken schien.
»So etwas Ähnliches hatte ich vermutet, Bak. Du warst uns trotzdem eine große Hilfe. Und wenn dir noch was einfällt, kommst du bitte zu mir, ja?«
Bak nickte. Er sah ernst aus. Hier ging es nicht um sein persönliches Ansehen. Es ging um professionelles Arbeiten, und das musste anständig erledigt werden. So viel Respekt würde er doch aufbringen.
Man hätte fast Lust bekommen können, ihm auf die Schulter zu klopfen.
»Ich bin von dem Ausflug nach Stevns zurück. Ich habe gute und schlechte Nachrichten, Carl.«
Carl seufzte. »Schieß los, Assad, die Reihenfolge ist mir egal.« Assad setzte sich auf die Kante von Carls Schreibtisch. Als Nächstes würde er sich dann wohl auf seinen Schoß setzen?
»Okay, zuerst die schlechte Nachricht.« Wenn er die schlechten Nachrichten immer mit einem so breiten Lächeln einleitete, wie würde sein Gesicht dann erst aussehen, wenn er zu den guten kam?
»Der, der in Daniel Hales Auto reinfuhr, ist auch tot«, sagte er und wartete offensichtlich gespannt auf Carls Reaktion. »Lis rief an und erzählte es. Ich habe es hier notiert.« Er deutete auf einige arabische Schriftzeichen, die, soweit es Carl betraf, genauso gut bedeuten konnten, dass es auf den Lofoten übermorgen schneien würde.
Carl war außerstande, darauf in irgendeiner Weise zu reagieren. Das hier, das war wieder mal so typisch. Natürlich war der Mann tot, was hatte er denn erwartet? Dass der quicklebendig war und auf der Stelle zugeben würde, er hätte sich für Daniel Hale ausgegeben, erst die Lynggaard umgebracht und dann anschließend auch noch den echten Hale? Nonsens!
»Lis sagte, das wäre so ein Rowdy vom platten Land gewesen, und er hätte schon mehrfach wegen seiner Fahrweise im Knast gesessen. Weißt du, was sie mit Rowdy vom platten Land meint?«
Carl nickte müde.
»Gut«, sagte er und las von seinen Hieroglyphen ab. Irgendwann musste man ihm mal beibringen, seine Notizen auf Dänisch zu machen.
»Der wohnte in Skævinge, oben in Nordseeland«, fuhr er fort. »Sie haben ihn tot im Bett gefunden. Er hatte Erbrochenes in der Luftröhre und mindestens eine Million Promille im Blut. Tabletten hatte er auch genommen.«
»Ach. Und wann war das?«
»Nicht so lange nach dem Unfall. Laut Bericht ist man der Meinung, dass für ihn der ganze Mist von dem Unfall kam.«
»Du meinst, dass er sich wegen des Unfalls zu Tode gesoffen hat?«
»Ja. Postdramatischer Stress.«
»Posttraumatisch, das heißt posttraumatischer Stress, Assad.« Carl schloss die Augen und trommelte mit den Fingern auf die Tischkante. Vielleicht waren auf der Straße drei Personen unterwegs gewesen, als es zu dem Zusammenstoß kam, und dann war es höchstwahrscheinlich Mord. Und wenn es Mord war, dann hatte der Rowdy aus Skævinge wahrhaftig allen Grund, sich zu Tode zu saufen. Aber wer war dann die dritte Person? Der- oder diejenige, die vor Hales Auto spazierte? Wenn es überhaupt jemand war. Hatte er oder sie sich auch umgebracht?
»Wie hieß denn der Mann?«
»Dennis. Dennis Knudsen. Als er starb, war er siebenundzwanzig.«
»Wo wohnte Dennis Knudsen, hast du eine Adresse? Gibt es Angehörige? Familie?«
»Ja. Er wohnte bei seinen Eltern.« Assad lächelte. »Auch in Damaskus wohnen viele mit
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