Erbe des Drachenblutes (German Edition)
gehalten hätte. Nachdem die in der Siedlung lebenden Erdsteinkobolde von der Anwesenheit der zwei Menschen unterrichtet worden waren, dauerte es nicht lange und sie hatten jedwede Bedenken ihnen gegenüber verloren.
Pagalaz glich einem riesigen Ameisenbau, in dem man sich ohne einen Führer schnell verlaufen konnte. Doch gab es an allen möglichen und unmöglichen Stellen zierliche Wendeltreppen, die nach oben in die Baumstämme des Waldes führten und jederzeit als Ausgang genutzt werden konnten, wenn man die geheimen Worte kannte, die die kleinen Tore in die Außenwelt öffneten. Nexus sorgte dafür, dass Mina bis in die hintersten Ecken der Siedlung geführt wurde und alles erklärt bekam, was sie wissen wollte. Denn im Gegensatz zu Nirvan war sie fasziniert von seiner Heimat.
Neben dem Kommunikations-Röhrensystem der Elementenratten und den Lebensgewohnheiten der Kobolde bewunderte sie insbesondere die unterirdischen Gärten, die mit viel Liebe zum Detail und gut behütet in den Außengebieten der Siedlung in mächtigen Höhlen angelegt waren. Die fremdartigen Gewächse in diesen Gärten erhielten kein Sonnenlicht, dennoch lebten und gediehen sie. Die dort tätigen Kobolde erklärten Mina, dass die vielen gitterförmigen Kristalle in den Höhlenwänden lebensnotwendig für die Pflanzen waren. Sie spendeten das Licht, das den riesigen Pilzen, den Kletterpflanzen mit ihren fleischigen Blättern und den seltsam geformten Wurzelknollen einen Geschmack verlieh, den Mina, nachdem sie das erste Mal ein hieraus zubereitetes Gericht gekostet hatte, nie wieder vergessen würde. Sie fühlte sich in Pagalaz, wo es kein Tageslicht gab und alles ein wenig zu klein für Menschen war, ungemein glücklich. Seitdem sie Dra'Ira betreten hatte, war es das erste Mal, dass sie ein Gefühl von Frieden verspürte.
Nirvan wiederum empfand die Tage als Belastung. Ständig beschwerte er sich. Die Möbel waren ihm zu winzig, das Essen nicht genießbar, und die Kobolde belästigten mit ihrer Anwesenheit seinen Geruchssinn und mit ihren Gesprächsansätzen seinen Verstand. Aus seiner Sicht waren die Steinfußkobolde nur nervige, unterentwickelte Zwerge, die ihn seiner kostbaren Zeit beraubten. Das hatte zur Folge, dass er sich entweder in dem ihm zugewiesenen Raum einschloss und nur zum Essen herauskam oder sich in die Bibliothek der Kobolde zurückzog. Die Bibliothek, ein schier endlos scheinender, langgezogener Saal, der vom Boden bis unter die Decke mit Büchern vollgestellt war und nur einige Schreibpulte zu Studienzwecken aufwies, hatte sich als ein wahrer Schatz an Wissen herausgestellt. Generationen von gelehrten Kobolden oder Wanderern hatten dort Erfahrungen, Legenden, Geschichten und vieles mehr zusammengetragen und niedergeschrieben, und das nicht nur über ihre eigene Rasse. Nein, sie hatten das Wissen von allen im Reich der Drachentochter gesammelt, soweit es ihnen zugänglich war. Das Ausmaß der Literatur hatte sogar Nirvan beeindruckt. Die Bücher reichten von Ansammlungen alter Landkarten und dokumentierten Erzählungen untergegangener Völker bis hin zu Legenden über die ersten Drachengenerationen und den dunklen Kontinent. Nirvan erkannte, dass sich der Clan der Erdsteinkobolde die Pflege der Aufzeichnungen zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Und auch wenn er es nie aussprach, behandelte er Nexus seit der Erkenntnis mit einem Funken mehr Respekt.
Nexus war derweil selten in der Waldkoboldsiedlung anzutreffen. Jede Gelegenheit nutzte er, um den Wald, die umliegende Gegend sowie den Verlauf des Flusses nach Zados abzusuchen. Er sprach nie über seine Sorgen, doch das musste er auch nicht. Jeder, der ihn kannte, sah ihm an, dass ihm schwer ums Herz war. Keine Spur hatte er von dem Halbelben gefunden, die Aufschluss über dessen Verbleiben geben konnte.
Am vierten Tag entschied sich Mina, ohne ihren Freund Nexus einen Ausflug in die verworrenen Gänge von Pagalaz zu unternehmen. Lächelnd schritt sie durch die Flure und musterte jeden Seitengang und jeden Raum, bei dem die Tür offen stand. Einige Kobolde kamen ihr entgegen und grüßten sie freundlich, doch irgendwann – sie wusste selbst nicht, wie viel Zeit vergangen war – stellte sie fest, dass sie schon länger niemanden mehr gesehen hatte. Auch war ihr der Teil der Siedlung vollkommen fremd. Es gab hier nichts, an dem sie sich orientieren konnte. Die festgedrückte und mit Wurzeln durchzogene Erde der Wände wirkte dunkler als im Zentrum von Pagalaz, und die
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