Erbe des Drachenblutes (German Edition)
heute auf Dra'Ira leben.«
Ein sehr zierlicher Junge in einem knielangen, blaugrauen Hemd saß an der Seite und bohrte mit einem Finger in seiner Nase. »Wir sind aus Zorn erschaffen worden?«
»Ja, Zetahh, so war es damals. Aber das ist noch nicht das Ende gewesen. Der Himmel verdunkelte sich vor Scham über Gaias Taten, aber Gaia war noch immer erfüllt von unbändiger Rage. Sie richtete ihren Blick auf ihr ungehorsames Kind. Der junge Gott spürte die Gefahr, die von seiner einst so geliebten Mutter ausging, aber es war bereits zu spät. Die anderen Götter versuchten Gaia zu besänftigen. Vergebens. Gaia, blind vor Zorn, verfluchte ihren Sohn und schickte ihn in die Verbannung. Unter grausamen körperlichen und seelischen Schmerzen floh er und verschwand in der Ewigkeit unserer Welt. Von dort kehrte er bis heute nicht mehr zurück. Ein gefallener Gott zu sein, das war nun sein Schicksal.«
»Aber was wurde aus Gaia? Hat sie es denn nicht bereut? Meiner Mama tut es im Nachhinein immer leid, wenn sie mal mit mir geschimpft hat.« Das war das kleine Koboldmädchen mit den feuerroten Zöpfen.
»Vielleicht, aber wer versteht schon die Götter, Naddin? Als Gaia ihr unheiliges Werk vollbracht hatte, brach sie erschöpft zusammen. Erst da wurde ihr klar, was für Konsequenzen ihr Handeln hatte. Nun, am Ende ihres Weges, hatte sie doch nicht besser als ihr eigener Schöpfer gehandelt. Sie hatte zum ersten Mal in ihrer Existenz ihre Macht eingesetzt, um einem anderen Wesen – sogar ihrem eigenen Kind – zu schaden. Was hatte sie getan? Unendliches Entsetzen breitete sich in ihrem Herzen aus. Niemals hätte es so weit kommen dürfen. Doch der Verdammte war fort. Gaia schämte sich und zweifelte an allem, was ihr bis dahin heilig gewesen war. Reue und Schuldgefühle erfüllten ihr Herz. Nie wieder sollte so etwas geschehen. Entsetzt über ihre Taten, sagte sie ihren verbliebenen Kindern, dass nun jedes seinen eigenen Weg gehen und alle die anscheinend Unglück bringende Welt Dra'Ira verlassen sollten. Und das, meine jugendlichen Freunde, war der Tag, als die Götter sich von uns abwandten, und sie sind bis heute nicht zurückgekehrt.«
Der alte Geschichtenerzähler verstummte. Am Anfang sagte keiner etwas, dann nahm sich ein zierliches Koboldmädchen ein Herz und streckte ihren Arm nach oben. »Großvater Multan, kannst du uns noch die Geschichte erzählen? Wie wäre es mit der Geschichte über Lian, wie sie den Urvater aller Drachen besiegte und die Drachen auf den dunklen Kontinent verbannte?«
Zustimmendes Gemurmel kam auf, doch der ältere Kobold schüttelte nur den Kopf.
»Nein, nein. Lians Geschichte wird morgen auch noch für uns da sein. Ich finde, es wird nun Zeit, dass ihr einem alten Haudegen wie mir seine wohlverdiente Nachmittagsruhe gönnt.« Er lächelte.
Die Kinder wollten zuerst nicht gehen. Noch gefesselt von seinen Worten, überschütteten sie ihn mit Fragen, doch er schüttelte nur erneut den Kopf und wies zur Tür. Mina bemerkte, dass die meisten Fragen auch von ihr hätten kommen können. Die Kinder wollten wissen, was aus Lian geworden war, wie es auf dem dunklen Kontinent aussah oder ob es noch Drachen gab, doch der alte Kobold weigerte sich, weitere Weisheiten preiszugeben. Stattdessen blickte er zu Nexus und nickte ihm grüßend zu. Die meisten Koboldkinder bemerkten die Geste und drehten sich um. Da sahen sie die beiden Menschen, die hinter ihnen saßen, und ein Hauch von Furcht trat in ihre grünen Augen. Überrascht rutschten einige der Kinder von den Besuchern fort. Mina blickte in runde, kleine Gesichter, mit kleinen Warzen und lustigen grünen oder roten Haarschöpfen.
»Sie haben noch niemals Menschen aus der Nähe gesehen«, erklärte Nexus entschuldigend.
»Nun ist es aber gut«, erwiderte der alte Kobold, den die Kinder Großvater Multan genannt hatten. Mit einer winkenden Handbewegung zeigte er Richtung Ausgang. »Ich denke, wir werden morgen unseren Geschichtsunterricht fortsetzen.«
Jetzt hörten seine kleinen Besucher sofort auf ihn und huschten eilig aus dem Raum hinaus, dabei darauf bedacht, den zwei langen, dürren Menschen nicht zu nahe zu kommen. Mina kam sich wie ein Störenfried vor. Sicherlich war ein Mensch hier unten eine Seltenheit, und sie musste sich fragen, ob die Waldkobolde einen solchen Besuch überhaupt schätzten.
Als sich die Tür schloss, ging Nexus zu dem alten Geschichtenerzähler, der noch im Schneidersitz auf dem Boden saß. Der alte Kobold hob
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