Erbe des Drachenblutes (German Edition)
breiten Schultern bedecken konnte. Ein langer, weißer Bart verriet, dass er deutlich älter sein musste, als sein muskulöser Körper erahnen ließ. Erst als der Junge die spitz zulaufende Kapuze mit den Runenstickereien sah, wurde ihm bewusst, wer ihn hier am Schlafittchen gepackt hielt: der oberste Hofmagier des Monarchen.
»Mein Herr, bitte, Ihr habt Einfluss. Bitte helft meiner Mutter«, flehte er zitternd. Der Mann lachte ihn nur aus. »Helfen soll ich? Aber Junge, was kann ich schon unternehmen? Sind wir nicht alle Diener unseres Monarchen, und müssen wir nicht alle die einfachsten Gesetze achten? Wenn ich könnte, würde ich natürlich deine Mutter verschonen, aber Gerechtigkeit kann nur walten, wenn sich alle gleichermaßen an die Regeln halten.« Er lächelte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Ein Frösteln überlief den Jungen. Schlagartig wurde ihm klar, dass der Mann Freude daran fand, durch das Land zu ziehen und Menschen höchstpersönlich als Unglücksbote gegenüberzustehen.
»Deine Mutter«, fuhr er fort, »ist eine Diebin. Leider haben wir Zeugen dafür, dass sie wiederholt Lebensmittel auf dem Markt gestohlen hat.« Mit einem übertrieben bedauernd wirkenden Gesichtsausdruck schüttelte er den Kopf.
»Wir sind in Not! Wir haben Hunger!« Tränen vermischten sich mit dem Regen in dem Gesicht des Jungen. Der kräftige Mann zuckte mit den Schultern. »Der Grund interessiert mich genauso wenig wie die Richter, die sich des Vergehens annehmen werden. Diebstahl ist Diebstahl, und dafür kann es nur eine Strafe geben: Deine Mutter muss in den Schuldturm!«
»Nein!« Voller Verzweiflung brüllte und zappelte der Junge in den Händen des Mannes, der nun seine Faust deutlich fester um den nassen Stoff des Kragens ballte, damit er nicht entkam. Vom Regenwasser vollgesogen, hing das graue Leinenhemd schwer am mageren Körper des Kindes herab. In dem Schuldturm des Monarchen zu landen, das wusste jeder, bedeutete nichts anderes, als einem langsam dahinsiechenden Ende entgegen zu blicken. Niemand kehrte von diesem düsteren Ort zurück. Es war ein Ort des Sterbens, nicht mehr und nicht weniger. Das durfte er nicht zulassen.
»Nein!«, wiederholte er und streckte die Arme in Richtung der zwei Soldaten, die seine Mutter festhielten. Zorn, unbändiger Zorn erwachte in ihm. Ständig verfolgte ihn das Unglück, wie ein Schatten im Hochsommer. Gleich wohin er ging, es hing ihm an und verdüsterte sein Leben. Alle Menschen, die ihm etwas bedeutet hatten, hatte er verloren. Einzig seine Mutter war ihm verblieben, er durfte sie nicht auch noch verlieren, niemals! Seine Rechte ballte sich zur Faust. Die Linke streckte er ruckartig in Richtung eines der Soldaten. Er wollte ihn vernichten! Er wollte ihn zerstören, ihn bestrafen … von ganzem Herzen.
Er wusste nicht wie, doch aus seiner ausgestreckten Hand fuhr mit lautem Getöse ein hellblaues Funkengewitter und bohrte sich gnadenlos in den Oberkörper des Mannes. Der Mann brüllte auf, stöhnte und fasste sich an die Brust. In der Mitte seiner Panzerung prangte ein faustgroßes verkohltes Loch, aus dem der Geruch verbrannten Fleisches drang. Sekunden später stürzte der Soldat wie ein gefällter Baum zu Boden. Marija Zinnerbaum wimmerte laut auf. »Was …«, begann der Junge irritiert, nur um mit einem festen Schlag gegen den Hinterkopf zum Schweigen gebracht zu werden. Bewusstlos sank er auf den aufgeweichten Boden. Nachdenklich blickte der Mann hinter ihm auf ihn nieder. Mit einer Handbewegung bedeutete er den beiden verbliebenen Soldaten fortzufahren. Trotz ihres lauten Rufens und unermüdlichen Flehens zogen sie Marija vom Geschehen fort. Der Mann blieb mit dem bewusstlosen Jungen und dem Toten zurück. Rinnsale von Regenwasser suchten sich ihren Weg über seine spitze Kapuze hinab in sein Gesicht, bis hin zur Bartspitze. Nachdenklich stieß er den bewusstlosen Jungen mit dem Fuß an. »Und du, du wirst mit mir kommen, kleiner Kämpfer. Wir werden gemeinsam noch feststellen, welches Potential in dir schlummert. Möglicherweise werden wir noch sehr gute Freunde werden.«
v v v v v
Zur gleichen Zeit …
»Die Runen lassen keine Zweifel: Ein Zeitalter der Finsternis wird hereinbrechen.«
»Tod und Untergang werden kommen und sich einer Decke gleich über das Land legen. Viele werden sterben. Und Tempelburg wird untergehen, wenn …«, der zweite Sprecher schluckte, »… wenn das prophezeite Kind nicht kommt.«
Zwei Männer, eingehüllt in
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