Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
hatte.
»Wie geht es ihr denn nun?«
»Lily?« Ty schüttelte den Kopf. »Keine Veränderung. Ich bin froh, dass Ihr einen Arzt dabeihattet, der sie gleich genäht hat. Aber wie Ihr schon sagtet – sie hat sehr viel Blut verloren.«
»Er hätte ihr gern etwas von unseren Vorräten gegeben. Aber ihr Blut ist nicht … normal.« Er schwieg einen Moment. »Du musst eine Entscheidung treffen, Ty. Wir sind uns alle einig: Du hast das Recht dazu.«
Ty seufzte tief und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Ja. Ich weiß.« Verdammt, er hatte seine Zähne sogar dann noch in ihren Hals schlagen wollen, als sie halbtot in seinen Armen gelegen war. Ihr Blut hatte sein T-Shirt rot gefärbt, hatte seinen Durst geweckt, hatte schier darum gebettelt, getrunken zu werden. Noch immer hing dieser Blutgeruch in der Luft, obwohl der Arzt die Wunde gesäubert und genäht und einen Verband angelegt hatte. Ihre Kleidung war verbrannt worden.
Ty spürte, dass Vlads Blick auf ihr ruhte. »Ihr Mal ist wunderschön«, sagte Vlad. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal ein echtes Lilim-Mal zu sehen bekommen würde, egal wie intensiv ich diese Male studiert habe. Deine Lily sieht Lilith übrigens ziemlich ähnlich.«
Das stimmte. Und Vlad war ganz offensichtlich vom ersten Moment an völlig hingerissen von ihr gewesen, so sehr, dass Ty schon ernsthaft überlegt hatte, selbst einen Krieg gegen den Mann vom Zaun zu brechen. Aber … Vlad hatte Ty und seine Brüder wie Ebenbürtige behandelt, nicht wie dahergelaufene Gossenblute. Er hatte ihnen zugehört. Und dann hatte er sich auch noch als fabelhafter Stratege herausgestellt.
Ty nahm an, dass er offiziell als Verräter galt. Komisch, dass sich das, was er getan hatte, nach all den Jahren am Hof dennoch richtig anfühlte.
»War Lilith eigentlich wirklich nur eine machtbesessene Dämonenkönigin?«, fragte Ty. Er hatte sich den Kopf zerbrochen über die Anschuldigungen, die hin- und hergeflogen waren, und sich gefragt, wo wohl die Wahrheit lag. Nicht dass es ihm wichtig gewesen wäre. Lily war perfekt, fand er, dämonisches Ritual hin oder her. Aber den Kopf zerbrochen hatte er sich trotzdem.
»Den gängigen Legenden zufolge schon«, erwiderte Vlad und setzte sich bequemer hin.
Nach zwei Nächten in Vlads Gesellschaft wusste Ty, wann der Dracul sich bereit machte, eine Vorlesung über eins seiner Lieblingsthemen zu halten. Vlad war ein großartiger Vampir, aber auch ein bisschen verschroben. Damien schien ihn zu mögen – Damien mit seinem enzyklopädischen Wissen über so ziemlich alles. Obwohl er eigentlich so schnell wie möglich zu seinem Leben voller Intrigen und Morde hatte zurückkehren wollen, machte er keine Anstalten, abzureisen. Dabei hatte Vlad ihm das Doppelte der Summe gezahlt, die Nero Damien noch schuldete. Sein Ruf war nicht in Gefahr. Die Meister der Shades würden ihn mit offenen Armen empfangen … falls er jemals zurückging.
Mehr als einmal hatte Ty das Bedürfnis verspürt, den beiden ein riesiges Buch auf den Kopf zu hauen und sie so zum Schweigen zu bringen.
»Ich selbst habe das nie geglaubt«, fuhr Vlad fort. »Außer Liliths Feinden gab es niemanden mehr, der darüber hätte berichten können. Wie ich dir schon sagte, hat mich die Art und Weise, wie sie ihre Dynastie geführt hat, immer fasziniert. Wie sie alle immer mit einbezogen hat. Damals gab es noch nicht so viele verschiedene Vampire der Unterschicht, ein paar Arten sind vermutlich seither auch ausgestorben. Aber sie hatten alle einen Platz an ihrem Hof und wurden auch bei Entscheidungen eingebunden. Die Lilim waren mehr als nur ihr Mal. Das Mal war eher ein Teil der Identität der Dynastie, und nicht unbedingt ein notwendiges. ›Kein Haus kann für sich allein stehen‹, wird sie in einigen der ältesten Texte zitiert, die ich habe, aber das würdest du von niemand anderem hören. Die Vampire lieben ihr Kastensystem. Zumindest die, die davon profitieren. Aber Liliths Worte haben in mir nachgeklungen. Die Dracul sind nicht perfekt, aber ich versuche immer wieder, die Grenzen ein bisschen zu verschieben – so gut das eben geht, ohne dass ich den Kopf riskiere, weil ich zu weit gegangen bin. Kleine Schritte.« Er grinste. »Und jetzt, eine neue Verbündete. Frisches Blut. Genau das brauchen wir, auch wenn sich die anderen Dynastien dagegen sträuben werden.«
Ty richtete den Blick wieder auf Lily. Sie rührte sich nicht, aber ihr Atem ging gleichmäßig. Doch sie war blass,
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