Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
hundertmal die hübsche Kehle zerfetzen können. Aber du wirst mir zuhören, so oder so. Ich habe ein paar Fragen, auf die ich dringend eine Antwort brauche.«
»Es gibt nichts, worüber wir reden müssten«, entgegnete Lily und wagte noch einen Schritt auf ihr Auto zu. Um sie herum war alles still, als wären sie die beiden einzigen Menschen auf Erden. Hatte er wirklich gerade gesagt, er könne ihr die Kehle zerfetzen? Wer sagte denn so was? Mit jedem Schritt, den sie weiter von ihm und seiner seltsamen Anziehungskraft zurückwich, konnte Lily wieder klarer denken. Ihre Angst wurde immer größer und ließ ihren Herzschlag erst in Trab und dann in Galopp verfallen.
In dem Moment sah sie etwas anderes in seinem Gesicht aufblitzen, so roh und unverhüllt, dass sie sich beinahe umgedreht hätte und einfach losgerannt wäre.
Hunger.
»Tu es nicht«, sagte er leise, und es klang fast wie ein Knurren. »Ich nehme dir deine Angst nicht übel, mo bhilis. Aber wenn du überleben möchtest, wirst du lernen müssen, sie nicht zu zeigen. Blut, das so heiß und schnell dahinjagt, ist eine Versuchung, der die meisten erst gar nicht werden widerstehen wollen.«
Sie starrte ihn so entsetzt an, dass Tynan den Blick abwenden musste. Es schmerzte ihn, sie so zu sehen, und seine Gesichtszüge verhärteten sich.
Ich will nach Hause , dachte sie. Ihr Atem ging stoßweise, und Panik jagte wie eine Droge durch ihr Blut. Ich will nur nach Hause.
»Ich brauche deine Hilfe«, fuhr er fort. »Und das habe ich genauso wenig zu entscheiden wie du.«
»Ich kann dir nicht helfen.« Ihre Stimme klang dünn und atemlos, und sie verachtete sich dafür, dass ihre Schwäche nicht zu überhören war.
Tynan suchte ihren Blick, fing ihn ein und ließ ihn nicht wieder los.
»Oh doch, ich glaube schon. Tatsache ist, dass ich mir dessen inzwischen ganz sicher bin.«
»Tja, dann irrst du dich wohl. Und wenn du nicht in zwei Sekunden verschwunden bist, drücke ich den Panikknopf. Der Campus-Sicherheitsdienst ist gut. Genauso gut wie unser Gesetz gegen Stalking, falls du vorhaben solltest, mich weiterhin zu verfolgen.«
Aus irgendeinem unerklärlichen Grund schien er das komisch zu finden, was Lily nicht nur bestätigte, dass dieser Mann gefährlich war, sondern auch, dass er verrückt war. Sein Grinsen blitzte so plötzlich und so schön in der Dunkelheit auf wie ein Blitz am Sommerhimmel. Was für eine schreckliche Verschwendung , dachte Lily und hasste sich für das heiße Lustgefühl, das sie beim Anblick dieses umwerfenden, flüchtigen Grinsens plötzlich tief in ihrem Unterleib verspürte. Doch schon war das Grinsen wieder verschwunden, und er sah sie todernst an.
»Du kannst es dir leicht oder schwer machen, Lily. Aber am Ende wird es auf dasselbe hinauslaufen. Deine Entscheidung.«
»Dann entscheide ich mich dafür, dass dieses Gespräch nie stattgefunden hat«, entgegnete Lily und legte den Daumen auf den Panikknopf an ihrem Schlüsselbund. Sie wusste, sie sollte ihn sofort drücken, um Tynan in die Flucht zu schlagen, aber irgendetwas hielt sie zurück. Trotz allem und obwohl ihr Herz raste, als hätte sie gerade einen Marathonlauf hinter sich gebracht, war irgendein kleiner, verdrehter Teil von ihr noch nicht bereit, Tynan gehen zu lassen. Aber sie wusste, dass sie dem Einhalt gebieten musste. Der Stress, die Rückkehr ihrer Schlaflosigkeit, und dann dieser Albtraum … Irgendwie wusste sie, dass das alles wieder angefangen hatte, weil er in ihrem Leben aufgetaucht war. Egal, was er ihr sagen, egal, welche Art von Hilfe er von ihr wollte – Lily musste sich auf der Stelle abwenden und einfach tun, was sie für richtig hielt. Denn ihr Instinkt sagte ihr klar und deutlich, dass sie, wenn sie noch länger hier stehen blieb, dem Wahnsinn Tür und Tor öffnete.
Sie hatte zu lange Mauern gegen den Wahnsinn aufgebaut, um sie jetzt für ihn einfach niederzureißen.
»Ich fahre jetzt, Tynan. Falls das wirklich dein Name ist. Wenn du irgendwas versuchst, drücke ich den Alarmknopf. Wenn du noch mal versuchst, mit mir Kontakt aufzunehmen, rufe ich die Bullen. Such dir jemand anderen, auf den du dich fixierst. Ich kann dir nicht helfen.«
Ohne noch einmal stehen zu bleiben, ging sie rückwärts zu ihrem Wagen. Auf Tynans Stirn bildete sich eine steile Falte. Noch immer dröhnte ihr Herzschlag in ihren Ohren, aber sie versuchte, gleichmäßig zu atmen und nicht ins Stolpern zu geraten.
»Lily«, sagte er warnend, und ihr wurde klar, dass sie
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