Erdbeerkönigin
die Hand. »Was kann ich über Daniel sagen?« Er legt seine Stirn in drollige Falten. Dann sagt er sehr ernst: »Er hat die Kunst geliebt. Die Malerei. Mehr als jede Frau.«
Die anderen lachen. Als sich das Gelächter legt, sagt Hubertus: »Und doch hat er damals meinetwegen sein Stipendium ausgeschlagen. Er war der beste Freund, den ich mir wünschen konnte.« Er wechselt einen tiefen Blick mit Theo.
Francesca räuspert sich und sagt mit erstickter Stimme: »Daniel war die große Liebe meines Lebens. So war das. Nicht mehr und nicht weniger.« Sie zittert.
Die meisten blicken verlegen vor sich hin. Francescas Worte sind allen wohl so peinlich, dass sie mir fast leidtut. Es scheint, als ob keiner mehr etwas sagen will. Aber dann höre ich Alexandras Stimme. Sie zittert nicht, doch sie spricht so leise, dass alle sehr genau zuhören müssen.
»Als Mia zwei Jahre alt war, waren wir in der Toskana. Daniel, Mia und ich. Hubertus kam später dazu. Es waren herrliche, sonnengetränkte Tage. Hubertus und Daniel kochten, und wir aßen jeden Tag die köstlichsten Dinge und tranken guten Wein, und Mia stromerte durch den Garten der alten Villa, die wir gemietet hatten, und spielte mit den Nachbarskindern. Sie lernte sogar ein paar Brocken Italienisch, und wenn sie mit der alten Nachbarin, Signora Wilma, Nudeln machte und ich sie abholen wollte, rief sie mir zu: ›Va via, mamma!‹, was so viel heißt wie: Geh weg, Mama.«
Alle lachen. Mia hängt mit rotem Kopf an Alexandras Lippen.
»Einmal am frühen Abend, die Sonne ging gerade unter und tauchte die Landschaft in dieses besondere, samtige Toskana-Licht«, fährt Alexandra fort, »stand Mia splitternackt in der Abendsonne auf der Terrasse und aß einen Pfirsich. Der süße Saft lief ihr über das Kinn und die Brust, und sie sah hinunter in das Tal, vollkommen aufgehoben in dem Moment. Und ich dachte damals: Das ist ein perfekter Moment. Ein Moment des absoluten Glücks. Nicht nur für Mia, sondern auch für mich. Und während ich Mia beobachtete und mich nicht bewegte, um diesen Augenblick nicht zu stören, trat Daniel hinter mich und legte seine Arme um mich. Ich drehte mich um und sah ihn an, und ich wusste beim Blick in seine Augen, dass er dasselbe empfand.« Sie seufzt. »Wir waren jung. Wir waren verliebt …«
Es klingelt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Maria an der Wohnzimmertür vorbei zur Tür geht.
Hubertus drückt Alexandra an sich. Beide wenden sich mir zu.
Alexandra fragt: »Und du, Eva, was sind deine Gedanken zu Daniel?« Mein Hals wird trocken, und ich fühle, wie mir das Blut in den Kopf steigt.
Doch bevor ich etwas sagen kann, drängt sich hinter Alissa Dr. Lenchens Blockflötengruppe mit Stanislaw in den Raum. Die Gehhilfen müssen sie im Hausflur gelassen haben.
Sie setzen die Flöten an die Lippen und legen los.
Stani und der glatzköpfige Flötist sorgen für das Bassfundament, über dem sich die beiden anderen Flöten erheben. Statt »Crocodile Rock« haben sie sich »Stand by me« vorgenommen. Stani lässt die Tasten los und beginnt zu klatschen. Bald klatschen viele mit, und dann ist Stanis Stimme mit seinem sympathischen Akzent zu hören.
»When the night has come and the land is dark/and the moon is the only light we’ll see/no I won’t be afraid oh I won’t be afraid/just as long as you stand stand by me.«
Jetzt singen auch andere, und Alissa und ich stimmen mit ein »Darling, stand by me …«
Als das Lied verebbt, der Applaus sich gelegt hat und die Musiker noch Plätze gefunden haben, schiebt mich Hubertus wieder sanft nach vorn. »Bitte schön, Eva.«
Die Musik, das gemeinsame Singen und ein neues Gefühl der Zugehörigkeit – meine Angst ist verflogen. Ich bin in diesem Moment zum ersten Mal sogar ein wenig stolz, dass Daniel ausgerechnet mich für die morgige Rede ausgesucht hat. Anfangs klingt meine Stimme in meinen eigenen Ohren rauh und ungeübt, aber dann fange ich mich und gewinne immer mehr Sicherheit. »Ich habe Daniel gekannt, als er noch ein Junge war. Er war damals, wie es in diesem Alter normal ist, kompromisslos und überschwenglich. Ich habe Daniel so kennengelernt, wie er von Gott oder dem Schicksal für das Leben bestimmt war. Wie er in seinem Innersten war, unverstellt und echt. Voller Träume, voller Liebe, voller Wärme.« Ich lächle Alexandra an. »Ich glaube, dass Daniel ein gelungenes Leben leben durfte, trotz der Rückschläge, Enttäuschungen, trotz der Krankheit.« Ich berichte, was mir
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