Erdbeerkönigin
streut er auch immer französische Wörter in seine Sätze.« Hubertus grinste breit, und Theo witzelte: »Merci, chéri! Je t’aime!«
»Du nennst es ein Klischee«, wehrte sich Filou ebenfalls grinsend. »Für mich ist es eine äußerst erfolgreiche Taktik!«
Wir hatten die würzige Dorade gegessen, dazu eiskalten Weißwein getrunken. Die Nacht senkte sich blau und samtig über das Wasser und den Garten, wir lachten viel, und nach dem zweiten Glas erzählte ich von Benny und Nick und meinem überstürzten Trip nach Hamburg.
»Isch liebe spontane Frauen«, schwärmte Filou.
»Du liebst alle Frauen«, erinnerte Theo ihn feixend.
»Nur, wenn sie schön wie Eva sind!«
Ich fühlte mich wie ein Kind, dessen Eltern ernährungsbewusst auf Zucker verzichten – und das dann eine Schokoladentorte geschenkt bekommt. Filous Komplimente waren dick aufgetragen und zu süß – aber sehr verführerisch. Seine Schmeicheleien machten mich, die Dompteuse der Kaffeemaschine, zur begehrenswerten Fremden. Ich hatte völlig vergessen, wie schön Tagträume sein können – besonders, wenn sie sich französisch anhören. Und so saßen wir im Kerzenlicht, aus dem Haus erklang sanfte Jazzmusik, die Luft war seidig und warm, und ich fühlte mich, als wäre ich verliebt. Leicht und schwerelos.
Auch jetzt in der Morgensonne empfinde ich etwas vom gestrigen Abendglück. Und noch etwas empfinde ich: Zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich Sehnsucht nach Nick. Ist es so simpel, dass man einander vermisst, sobald man ein paar Kilometer auf Abstand geht? Braucht die Liebe Pausen? Obwohl ich es mir nach unserem letzten Telefonat nicht gern eingestehe, fehlt er mir. Dieses Fehlen ist ein gläsernes, trauriges Gefühl, zerbrechlich und zart. Aber ich unterdrücke den Impuls, Nick anzurufen. Einer von uns beiden würde bestimmt einen Streit vom Zaun brechen, und das gläserne Gefühl würde unter einem unbedachten Wort zerbersten wie eine Weihnachtsbaumkugel, die auf den Boden fällt. Stattdessen mache ich mich auf den Weg, um den Markt zu erkunden.
Auf dem Gehweg werde ich fast von einem Jogger umgerissen. »Sorry!«, ruft er, schiebt mich aus dem Weg und sprintet weiter. Fassungslos schaue ich der Gestalt in knallorangefarbenen Leggins und grünen Laufschuhen nach. Als ich kopfschüttelnd meinen Weg fortsetzen will, stoße ich beinahe mit einem Fahrrad zusammen. »Herrje«, keift die Blondine mit High Heels, goldener Hose und Sonnenbrille, die auf dem Rennrad hockt. »Pass doch auf!« Sie zeigt mir einen Vogel und schlängelt sich an zwei Autos vorbei, deren Fahrer dieselbe Parklücke ansteuern. Als ich mich abwende, gelingt es mir im letzten Moment, einem zweiten Sportler auszuweichen: Der junge Mann joggt federnd an mir vorbei. Er läuft auf dem Fußweg parallel zum Marktgetriebe und Verkehrschaos, versunken in die Musik seines iPods, dessen Kopfhörer in seinen Ohren stecken. Das entrückte Lächeln des Läufers erinnert mich daran, wie gern ich früher selbst gelaufen bin. Damals hätte ich mich nicht so zaghaft nach vorn gepirscht. Meine Erinnerung an sportlichere Zeiten ermutigt mich endlich, über die Straße zu gehen. Allerdings mit der gebotenen Vorsicht.
Der Markt ist riesig! Unter der Hochbahntrasse reiht sich Händler an Händler. Das Angebot reicht von duftenden Gewürzen und Seifen über Pralinen und Schokolade bis hin zu Käse, Blumen, Fleisch, aber auch Schmuck, Kleidung und esoterischem Schnickschnack. Man kann Würstchen essen oder Kuchen, Sekt trinken oder Brezeln knabbern. Eng an eng werden Kinderkarren und Fahrräder durch die Menge geschoben, ständig schnappe ich ausländische Sprachfetzen auf.
Wie in Altona hängt plötzlich der Klang eines Akkordeons in der Luft. Eine Melodie fliegt direkt in mein Herz. Mir stockt der Atem. Diese Melodie … Es ist der langsame Walzer aus dem Kinoklassiker »Der Pate«. Unwillkürlich summe ich mit. Ich habe das Stück seitdem nie wieder von einem Akkordeon gespielt gehört. Seit jenem Tanz … mit Daniel. Und hier, inmitten der drängelnden Käufer an einem Freitagvormittag, höre ich sie wieder. Wo steckt der Musiker? Ich bahne mir einen Weg durch den Strom der Marktbesucher, kämpfe mich durch die Warteschlange vor dem Käsestand, umrunde eine Würstchenbude. Die Musik erklingt immer deutlicher, und endlich finde ich ihn: Er kauert auf einem Klappstuhl am Straßenrand. Ich sehe auf den ersten Blick, dass es derselbe ist, der am Tag meiner Ankunft in der
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