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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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Fußgängerzone in Altona gespielt hat. Auf seinem Kopf sitzt heute eine leichte Wollmütze, die er tief ins Gesicht gezogen hat. Am unteren Mützenrand kringeln sich die weißen Locken. Ich starre ihn an und versuche das Gefühl unbestimmter Enttäuschung in mir zu bekämpfen. Was habe ich denn erwartet? Dass Daniel neben ihm steht? Wie damals? Daniel ist tot.
    Der Akkordeonspieler blickt auf. Sein wettergegerbtes Gesicht verzieht sich zu einem vorsichtigen Lächeln, das in unzähligen Fältchen aufsplittert. Nickend weist er auf den geöffneten Instrumentenkoffer vor seinen Füßen, auf dessen dunklem Samtbezug einige Münzen liegen. Ich verstehe und suche in meinen Taschen nach Kleingeld. Der Mann lässt sich nicht anmerken, ob er mich wiedererkannt hat. Doch nachdem er den Walzer auf einem traurigen Akkord beendet hat, spricht er mich an: »Sonst Leben ist kein Wunschkonzert.« Wieder lächelt er breit. »Aber heute, charmante Dame wie du, darf wünschen!«
    Ich zucke mit den Achseln. »Ich habe keinen Wunsch.«
    Er sieht mich aufmerksam an. Dann hebt er sein Instrument hoch. »Vielleicht spielen? Du?« Ich sehe ihn erschrocken an. »Ich?«
    Er nickt. »Hab ich gesehen, dass du bewegt hast deine Finger. Hast du in deinem Herzen mitgespielt.«
    Ich schüttle schnell den Kopf und sage: »Ich spiele nicht mehr.«
    Er sieht mich so intensiv an, dass ich den Blick senke. »Aber du kannst, ja?«
    Ich nicke ihm noch einmal zu, dann wende ich mich schnell zum Gehen und tauche in der Menge unter. Als ich vor einem Bäckerwagen stehe, höre ich den Walzer wieder, traurig, süß, melancholisch. Ich schlucke und schlucke und kaufe schließlich einen Blaubeermuffin. Mit der Gebäcktüte in der Hand mache ich mich auf den Rückweg. Das wuselige Treiben, die vielen Menschen, die greinenden Kinder, die Fahrräder, Kinderwagen und die langsam durch die Masse schiebenden Alten hinter ihren Rollatoren strengen mich auf einmal an. Der Schweiß läuft mir den Rücken hinunter, meine Lippen werden trocken. Erleichtert stoße ich wenig später die Wohnungstür auf und freue mich an der Kühle, die mich umfängt. Den Rest des Tages verbringe ich auf Daniels Sofa, wo ich stumpf in den Fernseher starre und mich zwinge, Nick nicht anzurufen.

[home]
    6 . Kapitel
    Wenn Deine Freunde Deine negativsten Charaktereigenschaften aufzählen sollten – welche wären das?
(Gesprächsstoff: Original)
    Samstag, Tag 4
    A m nächsten Morgen klingelt es bereits um kurz nach zehn Uhr. Alexandra und ihre Tochter Mia stehen vor der Tür. Mia würdigt mich keines Blickes und rennt grußlos an mir vorbei ins Kinderzimmer. »Ich weiß, wo meine Inlineskates sind!«
    »Komm du doch auch rein«, ermuntere ich Alexandra, die ein wenig verlegen und entschuldigend die Hände hebt und sich vorstellt. »Ich trinke gerade auf dem Balkon Kaffee. Willst du auch einen?«
    In der Küche hole ich einen Becher aus dem Schrank und schütte ein paar Kekse auf einen Teller. Wenig später sitzen wir beide an dem kleinen wackligen Holztisch.
    Ich erkenne in Alexandra die brünette Frau mit dem getupften Kleid auf dem Gartenweg. Sie hat ihre langen glatten Haare aus der Stirn gekämmt und zu einem schlichten Pferdeschwanz gebunden. Überhaupt ist alles an ihr schlicht und klar. Außer leichtem Puder und kaum sichtbarem Lipgloss ist sie ungeschminkt. Ihre Fingernägel sind hellrosa lackiert, in den Ohren glitzern kleine goldene Stecker. Mit ihrer gut sitzenden hellen Bluse, der Leinenhose und den blauen Sneakers sieht sie beneidenswert gepflegt und frisch aus. Nur der rote Rand um ihre Augen zeigt mir, dass sie geweint hat.
    Sie sieht sich suchend um und steht auf, bevor ich etwas sagen kann. »Ich hol mir Zucker. Ich weiß ja, wo er steht.« Sie lächelt mich freundlich an und verschwindet in der Küche.
    Ich stelle mir Alexandra und Daniel in Hubertus’ und Theos Garten vor, so, wie man Barbiepuppen im Barbiehaus an den Tisch setzt – ein Bild wie aus einer Hochglanzillustrierten. Die beiden müssen ein Traumpaar gewesen sein. Zumindest optisch.
    Alexandra kehrt mit dem Zucker zurück. Sie runzelt die Stirn. »Es ist seltsam, in Daniels Wohnung zu sein.«
    Ich nicke. »Das ging mir auch so. Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt.«
    Alexandra löffelt Zucker in ihren Kaffee. Dann fragt sie unvermittelt: »Woher kommst du überhaupt?«
    »Aus Niedersachsen.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Ich meine, wieso tauchst du hier so unerwartet auf? Hattest du viel Kontakt mit Daniel?

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