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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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Wusstest du von seiner Krankheit?«
    »Nein. Und ich weiß auch nicht, warum er wollte, dass ausgerechnet ich an seinem Grab spreche.«
    Alexandra sieht mich erstaunt an. »Und ich dachte, dass wenigstens du es wüsstest.« Sie zögert für einen Moment. »Aber welche Geschichte hast du mit Daniel? Woher kanntest du ihn?«
    »Kennst du das Bild, das in Daniels Schlafzimmer hängt?«
    »Der Chardin?«
    »Diese Karte habe ich ihm geschickt.«
    Alexandra reißt die Augen erstaunt auf. »Wann denn?«
    »Vor zwanzig Jahren.«
    »So lange ist das her?«
    »Ja. Aber seit wann hängt das Bild denn dort?«
    Alexandra denkt nach. »Als wir zusammen waren, habe ich die Karte nie gesehen. Ich glaube, er hat sie erst aufgehängt, bevor er zum letzten Mal ins Krankenhaus gegangen ist.«
    »Und wieso?«
    Alexandra zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung. Er hatte, soviel ich weiß, kein Faible für das achtzehnte Jahrhundert. Und auch nicht für Stillleben.«
    Wir schweigen unsicher. »Du warst mit Daniel verheiratet?«, versuche ich unbeholfen das Gespräch weiterzuführen.
    Jetzt nickt Alexandra. »Ja, aber wir sind –« Sie korrigiert sich: »Wir
waren
schon eine Weile geschieden.« Um ihren Mund zeigt sich ein harter Zug.
    Wieder schweigen wir. Als Patientenbetreuerin spreche ich mit vielen Menschen. Die wenigsten sind über eine Scheidung froh. Im Krankenhaus reduziert sich vieles, was wir im Alltag für wichtig halten, auf ein Minimum. Im Krankenhaus ist es nicht mehr wichtig, wie viel Geld man verdient, welches Auto man fährt, wer erfolgreich ist. Im Krankenhaus geht es meist um wenige Fragen: Wer besucht mich? Denken die Freunde an mich? Werde ich geliebt? Ist mir mein Leben gelungen? Die meisten Menschen empfinden eine Scheidung als Niederlage und sich selbst als Versager.
    Alexandra rührt in ihrem Kaffee. »Es hat nicht geklappt.«
    Mit wachsendem Unbehagen sehe ich, dass sich in ihren Augen Tränen sammeln. Ich zögere erst, aber dann tue ich doch, was ich so häufig im Krankenhaus mache: Ich lege meine Hand auf ihren Arm.
    Alexandra sieht mich dankbar an, eine Träne läuft ihre rechte Wange hinunter. Sie holt aus ihrer Hosentasche ein Papiertaschentuch hervor, wischt sich über die Augen und putzt sich dann die Nase.
    »Bitte entschuldige.«
    Ich schüttle den Kopf. »Da gibt es nichts zu entschuldigen.« Alexandra dreht das Taschentuch in ihren Händen.
    »Es ist nur, dass die Scheidung durch seinen Tod für mich so endgültig geworden ist. Jetzt hat er mich doch noch verlassen. Obwohl in Wahrheit ich ihn verlassen habe.«
    Sie sieht mich aus ihren roten Augen hilflos an. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mich so trifft. Ich hatte gedacht, dass ich mit der Trennung über ihn hinweg gewesen wäre.«
    Sie putzt sich wieder die Nase. Unerfüllt gebliebene Sehnsüchte sind vielleicht die stärksten, denke ich, während ich versuche, Alexandra nicht allzu genau zu beobachten, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Doch sie stören meine Blicke nicht. Jäh bricht es aus ihr heraus: »Ich hatte mir nie ein Familienleben mit einem Mann vorstellen können – bis Daniel kam. Da wusste ich, dass ich den Vater meiner Kinder getroffen hatte. Aber es hat nicht funktioniert. Ich musste ihn verlassen. Allein schon, um meine Selbstachtung zu retten.« Sie lehnt sich mit einem Seufzer zurück. Jetzt weint sie hemmungslos, längst hat sie das Taschentuch zu einem feuchten kleinen Knäuel geknetet. Ich stehe auf und reiße ihr von der Küchenrolle ein paar Blätter ab. Sie nimmt sie entgegen und sagt dann, als sich ihr Atem etwas beruhigt hat: »Tut mir leid, ich wollte dich nicht mit meinen gescheiterten Lebensplänen belästigen. Aber seitdem Daniel …« Sie vermeidet es, »tot« zu sagen, und sucht nach Worten. Schließlich murmelt sie: »Seitdem Daniel nicht mehr da ist, muss ich mein Leben völlig neu strukturieren. Nicht nur, weil ich tief drinnen immer noch gehofft hatte, dass wir eines Tages noch einmal zueinanderfinden. Sondern auch wegen Mia.« Bei diesen Worten wallt ein warmes Gefühl der Sympathie in mir auf. Vor mir sitzt trotz ihrer kühlen, eleganten Fassade eine verletzte, todtraurige Frau, deren Kummer mich berührt. Eine Mutter, die einem Kind den Verlust des Vaters erklären muss. Der Tod verändert alles. Daniels Tod hat mich zur Ausreißerin aus meinem eigenen Leben gemacht und Alexandra und mich in dieser Küche zusammengeführt. Er hat die normalen Alltagsabläufe außer Kraft gesetzt. Und

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