Erdbeerkönigin
flirtest, anstatt normal mit mir zu reden«, versuche ich mich zu rechtfertigen.
»Dass ich ständig flirten muss, liegt nur an dir.« Filou ist unverbesserlich.
Ich bin froh, dass wir auf dem Weg nach Altona hintereinanderfahren müssen und sich deshalb intensive Gespräche verbieten. Als der Fluss vor uns liegt, biegen wir nach rechts in die Elbchaussee ein. Die Sonne hat sich wieder durchgesetzt, und so radeln wir diese Straße mit den aufwendig renovierten alten Häusern bei angenehmen Temperaturen entlang. Hier leben seit jeher die Reichen und Erfolgreichen, entfernt vom Trubel der Stadt.
Ich bin beeindruckt. »Schöne Häuser, traumhafte Gärten!«, rufe ich Filou zu.
Er kontert an der nächsten Ampel: »Unfassbar teure Grundstücke und unanständig hohe Mieten!«
Ich halte neben ihm und schaue hinüber zur Elbe, die glitzernd dahinfließt. Ein Containerschiff schiebt sich Richtung Elbmündung. Ein Schlepper und zwei Barkassen wirken neben dem riesigen Frachtschiff wie Tümmler, die einen Walfisch umspielen. »Es ist zwar sehr schön hier«, sagt Filou, »aber jeden Abend in eines dieser einsamen weißen Häuser zu fahren, das wäre nichts für mich. Bei meinem Glas Wein am Feierabend möchte ich nicht allein auf meiner Terrasse sitzen, sondern Menschen um mich herum hören. Fremde Menschen, das ist für mich so entspannend, wie hier auf das Wasser zu sehen.«
»Aber der Blick! Die Natur!«, wage ich einzuwenden. Ich habe nichts dagegen, einen Wein zum Feierabend auf meiner Terrasse allein zu genießen.
Filou verdreht die Augen. »Pah, der Blick! Das wird doch völlig überschätzt. Die Begeisterung für Natur kann ich sowieso nicht verstehen. Ich schau einmal hin und finde den Fluss schön. Und wenn ich noch einmal hinschaue, ist es immer noch schön. Na und? Ist doch langweilig.« Er betrachtet die Villen hinter uns mit einem abschließenden Blick und steigt dann wieder auf den Sattel. »Ich habe Hunger.«
Das Café Engel thront in einem zweckmäßigen, fensterreichen Bau auf einem Elbanleger wie ein Adlernest auf einem Berg. Rechts und links kann man den Blick über die Elbe schweifen lassen. Wir nehmen draußen unter einem Sonnensegel Platz und fühlen uns wie Passagiere auf einem Kreuzfahrtschiff. Filou überfliegt die Karte, und dann bestellt er für uns beide. »Vertrau mir, Eva. Ich kenne die Küche. Es gibt frischen Fisch, etwas geschmortes Gemüse und als Nachtisch eine Crème Caramel.« Ich lasse ihn gewähren und genieße es, von ihm umsorgt zu werden. Nach den vielen Tagen allein macht es mir Spaß, dass jemand anderes die Verantwortung übernimmt. Filou tut so, als wäre er mit der Kellnerin befreundet, die er ebenso unverfroren anflirtet wie mich. Denn das macht er weiterhin, wobei ihm das Wunder gelingt, ihr und mir gleich viel Aufmerksamkeit zu widmen.
Andere lachen oder singen – Filou flirtet. Und zwar, wie ich im Verlauf des Essens bemerke, mit jedem – inklusive kleinen Kindern und alten Menschen. So geht er liebevoll auf den Kummer eines kaum den Windeln entwachsenen Stöpsels ein, der seinen Eltern am Nebentisch entwischt und auf die Nase gefallen ist. Nur wenig später springt er auf und hilft einer alten Dame, die die Stufen des Restaurants nicht allein bewältigen kann. Dabei strahlt er sie an, als habe er nur auf sie gewartet, damit sie seinen Tag verschönt.
»Wie machst du das nur?«, frage ich ihn, als er sich wieder bei mir niederlässt.
»Die Frage ist doch: Warum sollte ich es anders machen?« Er beugt sich vor und streicht mir mit einer zärtlichen Bewegung ein Haar aus dem Gesicht. Er zieht meine Hand an seine Lippen und drückt einen kurzen Kuss auf meine Finger. Dann legt er meine Hand wieder auf den Tisch und verschränkt seine Finger mit meinen.
Es fühlt sich gut an, hier mit ihm in der Sonne zu sitzen und auf den Fluss zu schauen. So gut, dass ich meine Hand nicht wegziehe. Das tue ich erst, als das Essen kommt.
»Warum hast du keinen Kontakt zu Daniel gehalten?«, fragt Filou.
Er ist mir zu selbstverliebt, als dass ich ihm von meinem missglückten Versuch mit der Postkarte erzählen möchte. Ich versuche ihn scherzhaft abzuwimmeln. »Guck mich doch mal an! Ich bin ein Landei, ich hätte nie zu Daniel gepasst.« Filou sieht mich nachdenklich an. Er kneift die Augen zusammen und sagt: »Und dennoch warst du seine Erdbeerkönigin.«
Jetzt bin ich überrascht.
»Was weißt du denn darüber?«
»Als Daniel klarwurde, dass er sterben würde, hat er
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