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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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nach dem Telefon. Und lasse es wieder sinken. Wenn nun dieser Traum prophetisch war? Wenn Nick bereits dabei ist, sich von mir zu entfernen? Was bedeutet der Traum? Wieder sehe ich ihn im Wasser verschwinden, die Wellen schließen sich über ihm. Die leicht ausgefaserte Linie des Horizonts, das Blau des Himmels, die Bewegung der Wellen … seine Stimme aus dem Telefonhörer: »Wir sehen einander noch.«
    Ich liege hellwach im Bett. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Stattdessen überschlagen sich meine Gedanken, tanzen Erinnerungsfetzen, Fragen, Ängste durch meinen Kopf. Zum ersten Mal seit Tagen fühle ich mich wieder verloren in Daniels Wohnung. Was mache ich überhaupt hier? Warum stehe ich nicht zu Hause an meiner Kaffeemaschine? Wieso kümmert sich keiner um mich? Was ist nur aus meinem Leben geworden? Man würde meine Leiche erst bei der großen Party finden, wenn mir jetzt etwas zustieße. Während es draußen heller wird, sause ich unter den Flügeln meines Alptraums mit hohem Tempo in ein depressives Loch wie ein Bobfahrer in den Eiskanal. Meine Seele rudert mit den Armen, aber es gibt keinen Menschen, der mich auffangen könnte. Wen sollte ich hier in Hamburg so früh am Samstagmorgen anrufen? Da fällt mir nur einer ein. Ein sehr netter Mensch mit grünen Leuchteaugen und roten Turnschuhen. Und so sitze ich um halb acht Uhr mit einem Becher Kaffee auf dem Sofa und jammere in den Telefonhörer: »Ich vermisse mein Leben. Ich vermisse Nick. Ich vermisse Benny. Ich vermisse sogar meine Kaffeemaschine!«
    Dr. Lenchen versucht mich zu beruhigen. »Aber, meine Liebe, du triffst doch hier jeden Tag neue Menschen. Hast du mir nicht erzählt, wie schön du das findest?«
    »Stimmt«, schniefe ich in den Hörer. »Aber das sind irgendwelche Begegnungen. Am Anfang war es ein großartiges Gefühl. Die große Freiheit! Aber wissen Sie was? Vielleicht ist Freiheit nur ein anderes Wort für ›Du bist der Welt egal!‹.«
    Dr. Lenchen bleibt beharrlich. »Schau doch mal, wie aufregend dein Leben gerade ist.«
    »Aufregend? Ich renne einem toten Phantom hinterher, das aus unerfindlichen Gründen eine Grabrede von mir erwartet, schlage mich mit todtraurigen Schicksalen auf der Krebsstation herum, zittere vor dem Zorn von eifersüchtigen Geliebten und lasse mich auch noch im Bus beklauen!«
    Ich höre Dr. Lenchen kichern. »Langweilig ist es jedenfalls nicht, oder?« Sie wird ernst. »Eva, nimm es mir bitte nicht übel, aber ich finde, dass du ein bisschen undankbar bist.«
    »Undankbar?«
    »Du logierst kostenfrei in einer der schönsten Städte der Welt, hast wieder angefangen zu laufen. Nimmst dir endlich wieder Zeit für dich und lernst interessante Menschen kennen.«
    Undankbar möchte ich auf keinen Fall sein. »Aber ich sehne mich nach Nick«, seufze ich.
    Dr. Lenchen schnalzt mit der Zunge. »Na, dann ist dein Hamburg-Besuch doch ein Erfolg, ein wunderbares Aphrodisiakum, oder?« Spitzfindig fügt sie hinzu: »Wann hast du dich zuletzt so nach Nick gesehnt?«
    »Aber ich kann doch nicht jedes Mal wegfahren, wenn mir der Alltag auf die Nerven geht!«, jammere ich.
    »Warum nicht? Ich bin noch mit über sechzig mindestens zwei Wochen im Jahr allein unterwegs gewesen. Und Johnny ebenfalls. So hatten wir uns auch immer wieder etwas Neues zu erzählen.« Ihre Stimme, die eben noch weich war, nimmt jetzt einen knappen, geschäftsmäßigen Tonfall an. Mein Weltschmerz ist für sie offenbar abgehandelt. »Und jetzt solltest du aufhören mit dem Trübsalblasen. Steh auf, plane den Tag! Was hast du dir denn für heute vorgenommen?«
    »Ich wollte erst einmal eine Runde joggen.«
    »Prima!« Dr. Lenchen setzt gleich nach: »Das rechte Wetter dazu hast du ja schon. Lauf doch diesmal durch Planten un Bloomen. Du kommst zu mir, ziehst dich um, läufst von hier los. Hinterher kannst du bei mir duschen, und wir frühstücken gemeinsam. Wie findest du das?«
    »Ist das der Park, den man von Ihrem Fenster aus sieht?«
    »Nein, aber du kannst doch von hier den Fernsehturm sehen. Am Fuß des Fernsehturms liegt Planten un Bloomen, ein sehr schöner großer Park.«
    Also ziehe ich meine Laufsachen an, packe Wäsche zum Wechseln zusammen und schwinge mich auf Daniels Fahrrad. Dr. Lenchen steht mit ihrem Rollator schon vor der Tür. »Während du joggst, hole ich uns frische Croissants, und dann kommt das Blockflöten-Ensemble. Das ist
mein
Frühsport!« Sie verstaut meine Tasche im Korb des Gehwagens, winkt mir zu und schiebt

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