Erdbeerkönigin
davon.
Ich radle weiter bis zum Fernsehturm. Nachdem ich das Fahrrad angeschlossen habe, laufe ich in den Park hinein. Hier sind die Geräusche der Stadt sofort weit entfernt. Das Sonnenlicht fällt sanft gefiltert durch die Blätter der schönen Bäume auf gepflegte Wege und Rasenflächen. Fast habe ich das Gefühl, auf Zehenspitzen laufen zu müssen. Der Park wirkt wie ein großer, liebevoll angelegter Garten. Es gibt Blumenbeete und bequeme weiße Holzsessel, die zum Verweilen einladen, Ententeiche und gluckernde Wasserläufe, in denen Goldfische schwimmen. Ich laufe an einem Musikpavillon vorbei, sehe einen Apothekergarten, auf dem Schilder über Arzneipflanzen Auskunft geben. Eine Sonderrunde ist mir der Rosengarten wert: Am liebsten möchte ich anhalten und mich durch die verschiedenen Rosenarten schnuppern. Ich brauche fast fünfzig Minuten, um einmal quer durch das Gelände zu laufen, und freue mich, wie gut ich das durchhalte. Das Beste jedoch ist: Der Katzenjammer des Morgens löst sich beim Laufen auf. Ich freue mich am Wind auf meiner Stirn, am Duft und an den Farben der Blumen und lande am Ende völlig verschwitzt, aber mit einem breiten Lächeln wieder vor Dr. Lenchens Apartmenttür. Laufen tut immer gut. »Wir sind auch fast fertig«, begrüßt mich Dr. Lenchen und stellt mir ihre Mitspieler vor. Die weißhaarige Inge lacht mir zu. Neben ihr blättert ein glatzköpfiger Herr in seinen Noten. Er streckt seine große Hand aus. »Otto Hansen!« Dann gibt es noch Willy, einen gebeugten Herrn mit feinen Zügen und grauen Locken, der mit seiner Flöte winkt. Während ich unter der Dusche stehe, klingen mir die Ohren. Denn die Flötencombo hat ein vielseitiges Repertoire. Es hört sich manchmal sehr schön an. Einiges erkenne ich: Da gibt es etwas aus der Kleinen Nachtmusik, ein Stück von Vivaldi, und dann – ich will gerade den Föhn einschalten – hörte ich unwechselbar »Crocodile Rock« von Elton John. Auf der Blockflöte!
Als ich aus dem Bad komme, haben die Musikanten bereits eingepackt. Die Gehhilfen werden wieder auseinandergeklappt, die Flötenkästen im Hängekorb verstaut. Und dann gibt es für Dr. Lenchen und mich Frühstück mit Milchkaffee und knusprigen Croissants.
»Na, wie gefällt dir unsere Musik?«, fragt Dr. Lenchen und deutet auf den Notenständer, der vor dem Fenster steht.
»Erstaunlich gut! Ich hätte nie gedacht, dass man auf der Blockflöte Elton John spielen kann.«
»Das Alter ist voller Überraschungen«, sagt Dr. Lenchen. »Weißt du, Eva, es ist schwer zu akzeptieren, dass man für alles viel mehr Zeit braucht. Dass man nichts mehr ›schnell mal eben‹ machen kann, sondern jeden Schritt planen muss.«
Ich denke daran, wie wütend meine Mutter darüber war, als sie älter wurde.
»Und es ist – zumindest für meine Generation – sehr schwer, sich auszuruhen. Wir sind doch mit diesen Fleiß-Grundsätzen aufgewachsen: ›Wer rastet, der rostet.‹ – ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.‹ ›Müßiggang ist aller Laster Anfang.‹ Und so weiter. Dann bist du alt und sollst dich deinem verdienten Ruhestand hingeben. Das kann doch gar nicht funktionieren! Man fühlt sich unausgefüllt und faul.« Sie beugt sich vor und legt mir mit großem Ernst die Hand auf den Arm. »Fang bloß früh genug an, dich mit Dingen zu beschäftigen, die dir auch im Sitzen Freude machen! Denn Volleyballspielen, Rock-’n’-Roll-Tanzen, stundenlange Spaziergänge – das geht im Alter nicht mehr.« Sie lächelt. »Aber Blockflöte spielen, das geht noch!«
Mein Handy piepst. »Bonjour, ma petite!«, dringt eine vergnügte Männerstimme an mein Ohr.
»Filou!«
»Genau der! Was ist los? Hast du meine Telefonnummer verloren? Oder hast du einen anderen? Wo bist du überhaupt?«
»Ich frühstücke.«
»Aber nicht zu Hause! Da habe ich schon angerufen.«
»Nein, nicht zu Hause.«
»Wo dann? Hast du also doch einen anderen?«
Ich weiß nicht, ob ich mich amüsieren oder ärgern soll. »Zweifellos hab ich einen anderen. Ich bin verheiratet!«
»Ach ja, ich war nur ein Abenteuer für dich. Eine Fingerübung, ein Intermezzo. Ist der verehrte Gatte jetzt bei dir?«
Die Entscheidung ist gefallen: Ich bin amüsiert! Was kann man einem solchen Mann auch entgegensetzen? Also antworte ich wahrheitsgemäß: »Nein.«
»Nein? Mit wem frühstückst du dann?«
Das geht nun aber zu weit. »Filou, mit wem ich frühstücke, geht dich nichts an. Was möchtest
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