Erdbeermond: Roman (German Edition)
Aufmerksamkeit. »Haben Sie sich alles gründlich angesehen?« Alle sagten im Chor Ja.
»Und Sie finden die Wohnung natürlich großartig.«
Wieder zustimmendes Gemurmel.
»Okay, jetzt machen wir es so. Sie sind alle ganz fantastisch. Ich fahre jetzt wieder in mein Büro, und das erste Paar, das bei mir mit drei Monatsmieten in bar ankommt, kriegt die Wohnung.«
Alle erstarrten. Er meinte doch nicht etwa …? Oh, doch: Das Paar, das alle anderen Mitbewerber aus dem Rennen schlug, indem es die siebenundvierzig Blocks Richtung Uptown am schnellsten zurücklegte, bekam die Wohnung.
Es war wie eine kleine Reality-Show, und im nächsten Moment hatten sich drei oder vier Männer im Ausgang verkeilt, als sie nach draußen drängten.
Aidan und ich starrten uns entsetzt an: Das hier war widerlich. Und im Bruchteil einer Sekunde erfasste ich, was im nächsten Moment geschehen würde: Aidan würde sich ins Getümmel stürzen. Ich wusste, dass er es eigentlich nicht wollte, aber meinetwegen würde er es tun. Bevor er zum Ausgang hechten konnte, legte ich ihm die Hand auf die Brust und hielt ihn zurück. Fast ohne die Lippen zu bewegen und mit einer Augenbewegung auf den Aufruhr deutend, murmelte ich: »Lieber ziehe ich in die Bronx.« (Was ungefähr so ist, als würde man sagen, dass man lieber in der Hölle wohnen wollte.)
Zwischen uns herrschte tiefes Einverständnis. Ebenso tonlos antwortete er: »Habe verstanden, Leutnant.«
Die Wohnung hatte sich schon geleert. Nur noch wir und der Makler waren da. Die anderen waren draußen, versuchten Taxis zu ergattern oder hasteten die Treppe zur Subway runter, bereit, über das Drehkreuz zu springen, oder rannten – rannten – siebenundvierzig Blocks.
»Wir gehen laang-saam«, sagte ich zu Aidan.
»Verstanden.«
Der Makler bemerkte unseren trägen Abzug. Er hob den Blick von seinem Aktenkoffer, an dem er irgendwas machte. Wahrscheinlich hatte er reingewichst, dachten wir später. »He! Ihr solltet euch mal beeilen. Wollt ihr die Wohnung etwa nicht?«
Aidan sah ihm direkt in die Augen und sagte mit trauriger Stimme, als täte ihm der Mann schrecklich Leid: »So verzweifelt sind wir nicht.«
Als wir wieder auf der Straße waren, bedauerte ich unsere Prinzipien. Erst dann begriff ich nämlich, dass wir die Wohnung nicht bekommen hatten. (In meiner Vorstellung waren wir schon eingezogen und wohnten da und hatten eine Topfpflanze gekauft.) Aidan drückte mir die Hand. »Ich weiß, dass du enttäuscht bist, Süße. Aber uns fällt schon was ein. Wir finden was.«
»Ich weiß.«
Der Gedanke, dass Aidan und ich uns so ähnlich waren und die gleichen Werte hatten, war mir ein seltsamer Trost. »Uns fehlt der Killerinstinkt«, sagte ich.
Es war, als hätte ich ihn geschlagen. Er zuckte zusammen. »Es tut mir Leid, Süße«, sagte er.
»Nein«, sagte ich. »Nein. Ich hasse dieses: ›Ich begnüge mich nicht mit dem zweiten Platz‹. Leute, die den Killerinstinkt haben, sind immer auch ein bisschen merkwürdig. Sie sind nervös, stehen dauernd unter Strom.«
»Ja, ist dir schon mal aufgefallen, dass sie zu schnell essen?«
»Und sie heiraten nur, wenn sich ihnen ein ›Fenster‹ bietet, zwischen zwei Tennisturnieren.«
»Und sie stehen unter dem Zwang, alle fünf Minuten jemandem ihre Visitenkarte zu geben.«
»Und sie lassen sich per E-Mail scheiden.«
»Nein, per SMS.«
»Wir wollen so nicht leben, oder?«
Trotzdem brauchten wir eine Wohnung.
»Wir müssen uns mehr anstrengen«, sagte ich.
»Nein, wir müssen klügah an die Sache rangehen. Ich habe eine Idee.«
Er erklärte sie mir: Das nächste Mal, wenn ein Makler einen Besichtigungstermin für eine Wohnung hatte, die wir uns leisten konnten, würden wir uns entsprechend vorbereiten. Wir würden mit drei Monatsmieten in bar ankommen und draußen ein Minicab warten lassen. »Wir sorgen dafür, dass der Makler uns bemerkt, besonders mich. Wenn es so aussieht, dass er alle zusammenruft, tue ich so, als hätte ich einen Anruf auf meinem Handy, und gehe ins Treppenhaus. Sobald ich draußen bin, renne ich auf die Straße, setze mich ins Auto und fahre zu seinem Büro. Müssen wir nur hoffen, dass ihm nicht auffällt, dass ich schon weg bin.«
»Und wenn er in seinem Büro ankommt, sitzt du da, und ich bin noch nicht da«, sagte ich. »Müssen wir nicht zusammen erscheinen? Ist es sonst nicht gegen die Regeln?«
»Das sind ja nur ihre dummen Regeln, wir können nicht verhaftet werden, wenn wir uns nicht daran halten.
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