Erdbeermond: Roman (German Edition)
– und dass sie hier war, um ihrer Familie zu helfen und …
»Pssst!«, sagte der pomadige Juan. »Ein bisschen mehr Respekt.«
Mackenzie hielt sich die Hand vor den Mund. »Entschuldigung.« Dann sagte sie flüsternd: »Es tut mir Leid. Es tut mir Leid, Liesl.«
Liesl saß ganz still. Sie hielt die Augen die ganze Zeit über geschlossen.
»Anna«, sagte sie langsam. »Jemand möchte mit dir sprechen.«
Sofort trat mir der Schweiß auf die Stirn.
»Ein Mann.«
Ich schloss die Augen und ballte die Faust. Bitte, lieber Gott, bitte …
»Aber nicht dein Mann. Es ist dein Großvater.«
Wieder die Großeltern!
»Er sagt, er heißt Mick.«
Von wegen! Ich habe keinen Großvater, der Mick heißt. Aber Moment mal, dachte ich, was war noch mit Mums Vater, Granny Maguires furchtbarem Ehemann. Wie hieß er noch? Ich erinnerte mich nicht, weil …
»… Du hast ihn nicht gekannt. Er starb kurz nach deiner Geburt, sagt er.«
Alle Härchen auf meinen Armen richteten sich auf, und ein Schauder lief mir über den Rücken. »Das stimmt. Oh Gott. Hat er Aidan gesehen? Da oben? Oder wo sie sind?«
Liesl zog die Augenbrauen zusammen und presste die Finger an die Schläfen. »Es tut mir Leid, es kommt jetzt jemand anders, eine Frau. Ich verliere ihn.«
Ich wollte aufspringen und sie an den Schultern packen und schreien: »Holen Sie ihn zurück, Herrgott noch mal. Er soll was über Aidan sagen. Bitte!«
»Tut mir Leid, Anna, er ist weg. Die Frau mit dem Stock ist wieder da, die böse Frau von letzter Woche, die von deinem Hund gesprochen hat.«
Granny Maguire? Ich hatte nicht die geringste Lust, mit der alten Hexe zu sprechen. Wahrscheinlich hatte sie Grandad Mick verscheucht. Ich sagte schneller, als ich denken konnte: »Richten Sie ihr aus, sie soll sich verpissen!«
Liesl zuckte zusammen, dann zuckte sie noch einmal zusammen. »Sie hat eine Nachricht.«
»Nämlich?«
»Sie sagt: ›Verpiss du dich!‹«
Ich war sprachlos.
»Oh Mann.« Liesl klang bedrückt.
Im Raum herrschte eine sehr beklommene Stimmung.
»Es tut mir Leid«, sagte Liesl. »Heute war ein seltsamer Tag. Normalerweise geht es hier sehr liebevoll zu, aber heute fließt eine Menge negativer Energie. Sollen wir aufhören?«
Wir beschlossen weiterzumachen, und die restlichen Botschaften – von Nicholas’ Dad, Steffis Mutter und Frans Mann – gaben keinen Anlass zu Kontroverse.
Dann war die Zeit um, die Oklahoma-Jungs brauchten den Raum, und ich schnappte mir Mitch auf dem Flur.
»Vielen Dank hierfür.« Ich zeigte auf den Zettel. »Darf ich dich … kann ich dir ein paar Fragen stellen zu deiner Sitzung mit Neris? Zum Beispiel, was hat dich überzeugt, dass sie so gut ist?«
»Sie sagte ein paar persönliche Dinge, die sonst niemand hätte wissen können. Trish und ich, wir hatten bestimmte Kosenamen füreinander.« Er lächelte verlegen. »Und Neris wusste sie.«
Das klang überzeugend.
»Hat Trish gesagt, wo sie ist?« Darum kreisten meine Gedanken: Wo war Aidan?
»Ich habe sie gefragt, und sie sagte, sie könne es nicht so beschreiben, dass ich es verstehen würde. Sie sagte, es sei weniger die Frage, wo sie sei, und mehr die, was sie geworden sei. Und dass sie immer bei mir sei. Dann habe ich sie noch gefragt, ob sie Angst habe, und sie sagte Nein. Sie sagte, sie sei meinetwegen traurig, aber glücklich da, wo sie sei. Sie sagte, sie wisse, dass es schwer für mich sei und dass ich aufhören solle zu denken, ihr Leben sei grausam beendet worden. Ihr Leben sei vollendet gewesen.«
»Was ist mit … Trish passiert?«
»Wie sie gestorben ist? Sie hatte ein Aneurysma. An einem Freitag kam sie von der Arbeit, wie üblich – sie war Lehrerin, Englischlehrerin –, und so gegen sieben fühlte sie sich unwohl, ihr war schlecht und schwindlig, um acht war sie im Koma, und um halb zwei morgens, auf der Intensivstation, war sie tot.« Er schwieg. Wie Aidan war auch Trish jung und ganz plötzlich gestorben. Kein Wunder, dass ich eine deutliche Verbindung mit Mitch spürte.
»Niemand hätte etwas tun können. Keine Untersuchung hätte etwas ergeben. Ich kann es immer noch nicht glauben.« Er klang perplex. »Es ging so schnell. Zu schnell, um es begreifen zu können, verstehst du?«
Ich verstand ihn. »Wie lange ist es her?«
»Fast zehn Monate. Am Dienstag sind es zehn Monate. Aber jetzt …«, er schwang sich seine Sporttasche über die Schulter, »… gehe ich ins Fitnessstudio.«
Er machte den Eindruck, als ginge er oft ins Fitnessstudio.
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