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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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des Flußbettes rieb. Mit geschlossenen Augen, die Wangen geschwollen vor angehaltenem Atem, zerrte sie an seinen Händen. Sie konnte seinen Griff nicht lockern; langsam gruben sich seine Finger tief in ihren Hals, quetschten Muskel und Knorpel. Der Schmerz verschwand, totale Schwäche überkam sie. Sie ließ seine Hände los und sank auf den Grund, erstickt, mit berstenden Lungen. Sie konnte den Atem nicht länger anhalten. Langsam strömte die Luft durch ihren verzerrten, zusammengepreßten Hals, und sie sah, wie die Blasen hochstiegen und zerplatzten, so daß der grinsende, blutverschmierte Mann, der sie immer noch unter Wasser drückte, sie nicht mehr richtig sehen konnte. Doch auf einmal lockerte sich sein Zugriff, und sein Körper trieb über ihr im Fluß.
    Eisiges Wasser füllte ihre Lungen, starke Hände zogen sie hoch. Sie kämpfte dagegen an, kämpfte gegen die schmerzende Flüssigkeit in ihren Lungen; dann lag sie mit dem Gesicht nach unten am Ufer, erbrach sich mehrmals, quetschte Mageninhalt und Wasser heraus …
    Sie kam wieder zu sich und richtete sich hoch. Darren wischte ihr Mund und Gesicht ab, Moir rieb ihr die Hände, um das Blut wieder in Gang zu bringen.
    „Was ist geschehen?“ Die Kehle tat ihr weh; sie konnte nur unter Schmerzen sprechen.
    „Du lebst noch – das ist geschehen.“ Darren strich ihr das nasse Haar aus den Augen.
    „Ist er tot?“
    Darren zuckte die Achseln. „Ich habe mein Messer nach ihm geworfen. Zu etwas anderem war keine Zeit. Da wurde er bewußtlos und trieb ab, Gesicht nach unten. Wir haben nicht daran gedacht, hinterherzuschwimmen und nachzusehen.“
    Er hatte das Messer wieder und hielt es liebevoll in der Hand. Er lächelte sie an; sie lächelte zurück, faßte seine Hand und küßte sie. „Danke, Darren. Ich habe noch viel zu lernen – furchtbar viel.“
     
    In den nächsten Stunden, während sie höher stiegen, der Schneegrenze zu, gingen ihr diese Worte nicht aus dem Kopf. Furchtbar viel zu lernen.
    Ja, dachte sie. Ich muß noch viel lernen – über Kämpfen, über Kraft und Brutalität, Schande und Strategie. Und vom Aeran zu leben muß ich auch lernen, denn sonst habe ich jetzt nichts mehr.
    Sie betastete den halbverheilten Schnitt am Oberschenkel. Er tat nicht weh; der Saft einer tiefwurzeligen Pflanze hatte das Wundgebiet betäubt (und das Fußgelenk außerdem); die Wundränder waren sauber und mit kleinen schwarzen Partikeln bestäubt, Samenkörnern, die Moir aus der Speer-Pflanze von vorhin gewonnen hatte. Die Samen waren klebrig und hielten die Wunde geschlossen; Elspeth hatte wenig Neigung zu probieren, wie fest sie hielten.
    Iondai ärgerte sich immer noch, daß er vergessen hatte, die Speerspitze zu vergiften. „Wenn er noch lebt und uns verfolgt“, brummte er, während sie mühsam den Weg durch die scharfen Vorsprünge blitzender kristallinischer Felsen suchten, „muß ich mir Vorwürfe machen. Wir haben gestern abend Nikkal- Blättergegessen, und ich hätte daran denken müssen, daß die Wurzel ein schweres Gift enthält.“ Er konnte gar nicht davon aufhören. Elspeth lachte ihn aus, aber Darren schien ebenfalls ärgerlich zu sein. Moir sah immer nur ihren Bruder an und war anscheinend tief in ihre eigenen Gedanken versunken.
    Am Spätnachmittag gingen sie langsam über sanfte Hänge auf steile Felsen mit schneebedeckten Säumen zu. Offenbar begann hier die Zone des tieferen Schnees. Ihr Atem dampfte in der Kälte. Iondai gefiel das, und Moir schien es ebenfalls zu mögen, Darren jedoch und Elspeth selbst (die sich in Iondais Decke gewickelt hatte und Gorsteins Decke über dem Arm trug, weil niemand sonst sie anfassen wollte) vertrugen die bittere Kälte schlecht. Zwergenhafter Baumwuchs stand verstreut auf diesen letzten Hängen: kurze baumähnliche Pflanzen, manche breit ausladend, platte Stämme, die in allen möglichen Winkeln aus dem Boden ragten, reich bedeckt mit palmblattähnlichen Lichtfängern, keinen eigentlichen Blättern, denn ihre Struktur unterschied sich nicht von der der Stämme, an denen sie wuchsen.
    In diesem Wald (der größtenteils niedriger war als sie selbst) suchte Iondai herum und fand schließlich einen dürren Baum. Die ausladenden Äste brach er ab und häufte sie auf; dann zeigte er Darren und Moir, wie sie die Stücke mit den Bruchstellen in ihre Körperbehaarung knüpfen sollten, so daß sie Leib, Beine und Oberarme bedeckten. Waren sie erst einmal befestigt, so waren die Blätter ein Panzer, allerdings nicht

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