Erdwind
Hände zitterten, wenn sie die kleinen Metallscheiben freiließen; die fünfte Linie war eine gebrochene, beide Männer starrten auf das Schirmbild – sie wußten, was das ching ihnen verkünden würde.
„Tu den letzten Wurf“, sagte Ashka leise. „Verbanne den Gedanken an das Resultat völlig aus deinem Geist. Wiederhole die Insulare … wiederhole die Frage …“
Innerlich wiederholte Gorstein die Worte, ließ sie einen Moment in seinem Geiste widerhallen – jetzt ging es ihm weniger um die Frage selbst, als um die furchtbare Entscheidung, die sein letzter Wurf bringen würde. Denn es gab nur zwei Möglichkeiten: die gebrochene Linie für den Erfolg, die ungebrochene für den Fehlschlag … Stagnation … Hexagramm 45 ‚Die Sammlung’, oder 47 ‚Bedrängnis’. Wie furchtbar, sich den Entscheid vorher auszumalen; doch es war unmöglich, nicht zu sehen, daß nur diese beiden Hexagramme in Frage kamen, das eine, das sich Gorstein so wünschte, das andere, das er so fürchtete.
Er warf die Münzen.
,Bedrängnis’!
„O mein Gott!“ rief er aus. Er hatte das Gefühl, leichenblaß geworden zu sein, innerlich so tot, wie sein verzerrtes Gesicht äußerlich schien. Seine Spannung verflüchtigte sich rasend schnell, sein Unbehagen schwand dahin, und an ihrer Stelle überfiel ihn eine derartige Katastrophenstimmung, daß er beinahe mit einem Aufschrei rücklings in die Falten seiner Robe gesunken wäre.
Es ist doch nur ein Buch, sprach eine Stimme in seinem Innern; aber er war so durcheinander, daß er keine sachlichen Überlegungen zum Wert oder Unwert des Buches anstellen konnte.
Er blieb sitzen, zutiefst erschüttert. Ashka sah ihn etwas erschrocken an. „Sei doch nicht so irrational! Gott existiert nicht. Er war immer nur eine Entsprechung dessen, was unsere Ahnen im tao sahen. Und überhaupt – warum so deprimiert, Karl? Solltest du etwa in fünfzig Lebensjahren – in dreißig davon hattest du ständig Rationalisten zu deiner Verfügung! – immer noch nicht erfaßt haben, daß das ching warnt, Trends aufzeigt, aber nicht prophezeit? Kannst du so etwas immer noch glauben, Karl?“
„Wie lautet der Text? Wie steht es im Buch?“
„Unsinn, Karl“, wehrte Ashka ab. „Das Orakel hat dich falsch beeinflußt, und weder ich noch das Orakel können dich ändern …“
„Lies mir vor, was dasteht!“ entgegnete Gorstein heftig, und schon beim Sprechen dachte er: Warum? Das ist doch ganz egal? Es ist doch nur ein blödes Buch, eine Krücke – warum kann ichs nicht abschütteln wie Regen, wie eine lästige Frau?
Ashka nahm das Buch auf, doch er öffnete es nicht, sondern barg es in beiden Händen. „Es gibt kein Verstehen. Das Große geht, das Kleine kommt …“
„Und was heißt das, deiner Meinung nach, Peter?“ Ist mir doch ganz egal.
Ashka legte das Buch vor sich hin und blickte auf den mürben Deckel. „Wenn du nicht deine natürliche stabile Position im Wirbel der Ereignisse findest, wenn du dich nicht auf deine Situation einstellen und sie bewußt daraufhin überprüfen kannst, welcher Trend diese Voraussage verursacht hat, dann glaube ich, das Orakel sagt eine fehlgeschlagene Mission voraus, und irgendwie spürst du das. Es ist auch, muß ich sagen, ein Ratschlag von der Art, wie ich ihn erwarten würde, wenn sich deine Beziehungen zur Besatzung dieses Schiffes verschlechtern. Diese Zweideutigkeit kommt daher, daß du das ching vor der Zeit befragt hast. Auf jeden Fall steuerst du in tiefes Wasser, Karl … Du darfst auf keinen Fall vergessen, daß der Ausgang jetzt in deiner Hand liegt. Erfolg oder Fehlschlag hängen von dir ab. Die Zukunft steht nicht fest, also laß es nicht darauf ankommen. Nimm an, daß alles schiefläuft, finde heraus, warum, und dann stelle es ab.“
„Irgend etwas außerhalb des Schiffes …“
„Nein, Karl. Etwas außerhalb deines Bewußtseins.“
„Wir können es ja näher spezifizieren. Wir können das ching fragen, auf welche Alternative es hinauswollte. Wir können es fragen, was genau es als schieflaufend ansieht.“
Ärgerlich schüttelte Ashka den Kopf. „Nein, Karl, nein. Das können wir nicht. Und wenn wir’s könnten, wäre es zu gefährlich.“
„Das hast du schon einmal gesagt“, fuhr Gorstein auf. „Das hast du früher schon oft gesagt. Wieso würden du und das Buch der Wandlungen kaputtgehen, wenn man etwas Spezifisches fragt?“
„Warum sollte ich dich anlügen, Karl?“
„Weil du dir in deinem rätselhaften Rationalistenhirn
Weitere Kostenlose Bücher