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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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befragst.“
    „Ja“, entgegnete Gorstein ernst. Er stand auf, trat nackt wie er war, ans Fenster und starrte hinaus auf die stummen Erdwälle der Aerani-Siedlung. „Danke, Rationalist. Danke für deine Zeit und Kraft.“
    „Die Konsultation ist doch noch nicht beendet“, sagte Ashka, und ihm war anzusehen, daß er überrascht war, weil Gorstein das Orakel aufgab, ehe er den vollen Spruch gehört hatte.
    „Danke, sagte ich. Das ist alles.“
     
    Ashka starrte auf Gorsteins nackten Körper, der als dunkle Silhouette gegen das helle Tageslicht stand. Gorstein war ein kräftig gebauter Mann mit leichtem Fettansatz an Hüften und Schenkeln, doch muskulös und geschmeidig dabei. Aber wie er da am offenen Fenster stand, schien er zu altern, krumm und schlaff zu werden, seine festen Konturen zu verlieren. Ashka blickte auf den Bildschirm hinab und sagte leise: „Wechsel!“ Das Hexagramm flimmerte, die Linien wechselten zu einem neuen Zeichen.
    Hexagramm 33, ‚Rückzug – Gelingen – für Kleine ist fördernd Beharrlichkeit’. Ashka verstand eine dieser Implikationen nur zu gut, doch er blieb stumm und suchte seine Geräte zusammen. Als er das ching aufhob, zögerte er und hielt es in seinen zitternden Händen, fühlte den rauhen Stoff des Einbands, roch genüßlich den Duft der alten Blätter. Immer vermittelte ihm dieses Buch ein starkes, fast greifbares Erkenntnisgefühl, wenn er es in Händen hielt. Es war ja, wie er wußte, nur ein Schlüssel zur Tür in das eigentliche Orakel – und doch war dieses Gefühl immer am stärksten, wenn er das Buch in Händen hielt. Es war, als sei es immer zornig, als seien die bedruckten Buchseiten wie die tiefen Linien im Gesicht eines Mannes, die auf eine zornige Natur hindeuten, auch dann, wenn sein Herz zeitweise frei von Zorn ist. Am Zorn des ching waren die anderen Orakel schuld. Das seidene Tuch schirmte es ab vom Tarot und von der Extrapolativ-Funktion des Schiffes; doch es wußte, daß sie da waren – es grollte ihnen, aber das Grollen war immer sehr leise.
    Jetzt, mit dem ching in seinen Händen, Gorstein beobachtend, doch ohne daß er etwas anderes wahrnehmen konnte als das Gefühl des tao, das sich im Buch verdichtete, spürte er stärkeren Zorn, eine fast greifbar deutliche Emotion des ching. Es mußte Eifersucht sein.
    Gab es draußen auch ein Orakel? Wenn ja, dann mußte es ein sehr kräftiges sein, weil es so auf das ching wirkte. Er hüllte es in sein Tuch und packte die anderen Gerätschaften ein. Wortlos, rückwärts gewandt, verließ er den Raum und überließ Gorstein dem Nachdenken über seine nächsten Schritte.

 
3
 
    Elspeth war jetzt etwas wärmer gekleidet: kurzer weiter Rock und Jacke. Sie hockte in dem kleinen Unterschlupf, den sie sich vor zwei Tagen gebaut hatte, und wartete auf Moir.
    Wo blieb das Mädchen nur? Sie hatte versprochen, sofort zurückzukommen, wenn sie hörte, daß die Fremden auf dem Marsch zur Erdburg waren. Das war jetzt Stunden her, buchstäblich Stunden. Leute in einem Schiff von der Erde würden doch bestimmt nicht soviel Zeit mit bloßem Dasitzen und Beobachten vertrödeln?
    Aber natürlich saßen sie nicht bloß so da und beobachteten. Sie hatten Augen-Roboter ausgeschickt, die das Gelände absuchten; von einem war sie heute früh entdeckt worden, als sie zur Fähre rannte, um auf die orbitierende Basis zurückzukehren. Was mochte sich wohl der Mann am Monitor bei ihrem Anblick gedacht haben? Eine schwarze Frau in der Welt pelziger Humanoiden … das Verwirrspiel wurde zweifelsohne zum Chaos: Nicht nur, daß er keine normale Kolonie vorfand; es kam auch noch ein nackter, ebenholzschwarzer Frauenleib hinzu, der wie der Blitz am Fluß entlangsauste zu der Stelle, wo der kleine Zubringer sicher im Busch verborgen lag.
    Komm doch, Moir! Und warum hatte Moir darauf bestanden, daß sie hier warten sollte, hier mitten im Walde, nicht im Dünengraben?
    Schlimm war nur, daß sie unmöglich allein ins Herz des crog gelangen konnte, um zu sehen, was diese Leute, diese Neuen Tiere, eigentlich wollten. Nur weil sie landfremd war, mußte ihr die Feuerstelle nicht unbedingt verboten sein – es gab viele nomadisierende Gruppen auf dem Aeran (hauptsächlich nues), die gelegentlich beim crog auftauchten, aus dem ihre Ahnen einst vertrieben worden waren; sie wurden in der Burg mit größter Höflichkeit behandelt – vorausgesetzt, daß sie friedlich waren –, aber das nützte Elspeth gar nichts. Sie wollte die Zugehörigkeit zur

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