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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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vielleicht einbildest, daß spezifizierte Voraussagen zu leicht sind. Du denkst vielleicht, wenn man vor Alternativen gestellt wird und Entscheidungen treffen muß, das ist gut für den Charakter, davon wird man stärker. Aber ich brauche Tatsachen, Rationalist, klare Tatsachen. Was wird schieflaufen – wie, warum, wann? Sag mir diese Tatsachen!“
    „Was würdest du tun, wenn ich sie wüßte?“
    „Wie meinst du das?“
    „Wie würdest du handeln?“
    Gorstein starrte dem Alten ins Gesicht. Ashka lächelte, leicht amüsiert, ohne jede beleidigende Absicht. Tatsachen, dachte Gorstein, Tatsachen oder gar nichts. Was nützt alles andere zwischen uns? Dieses Buch macht uns zu Krüppeln … „Diesen Streit hatten wir doch schon einmal, Peter, nicht wahr?“
    „So viele Male, Karl …“ Jetzt grinste Ashka unverhohlen. „Wie kommt es nur, daß du anscheinend nie die Natur des ching begreifst? Warum gerade du? Jeder andere hat seine Beziehung zum Orakel, doch nicht Karl Gorstein.“
    „Kann ich dafür, daß die Wandlungen … Entschuldigung, das I ching . Immer höflich. Kann ich dafür, daß wir uns nie richtig nahekommen?“
    Ashka zuckte die Achseln. „Unmöglich zu sagen. Ich kenne andere Männer – und Frauen –, die nie völlig eins mit dem Orakel geworden sind. Bei denen bin ich, wie bei dir, nicht ein bloßer Apparat zur Einstellung der richtigen Brennweite, sondern ein tatsächlicher Kanal, ein Kontrollorgan. Bei dir muß ich sehr schwer arbeiten, Karl. Ich muß du werden, anstatt einfach dazusitzen und den Vorgang aus der Ferne zu beaufsichtigen. Du machst mir sehr viel Mühe.“
    Meine Krücke? Meine helfende Hand? Damit ich auf dem graden schmalen Weg bleibe?
    Die Gedanken bewegten sich weiter in seinem Kopf.
    „Ich weiß, Peter. Und darum schätze ich dich nur um so mehr. Ohne dich …“
    „Wärest du Treibgut, Karl. Bloßes Treibgut, den Wellen und Strömungen ausgeliefert, unfähig, deine Existenz von einem Augenblick zum nächsten zu führen und zu kontrollieren. Es wäre viel leichter für mich, wenn du wenigstens versuchen würdest, das ching zu verstehen. Es ist doch wirklich ganz einfach. Aber dein hartnäckiger Glaube, daß es das Absolute weiß und es aussprechen kann, das ist … nun, eine Erschwernis für mich und das Orakel.“
    „Es kann das Absolute aussprechen. Ich weiß, daß es das kann, und du weißt es auch.“ Er wollte jetzt diskutieren. Das Buch selbst ließ ihn ganz kalt, wenn er es ansah.
    „Es gibt kein Absolutes, Karl. Nichts ist unwandelbar. Es kann bloß näher spezifizieren, und du kannst dich entschließen, auf der Welle zu reiten. Ich könnte das Faktum meines Todes ändern, doch ich habe nicht den Wunsch dazu. Ich gleite ihm gelassen entgegen, denn das ist mein Wunsch. Kein Absolutum, Karl, sondern Spezifika. Und auch die nur um einen schrecklich hohen Preis. Schrecklich hoch. Das ching ist ein empfindliches und wählerisches Orakel; es ist in uns allen, und wir bauen unsere Beziehung zu ihm auf, indem wir die Philosophie lesen, die es in Tausenden von Jahren durch die Menschen artikuliert hat. Die Worte auf dem Papier sind ganz gleichgültig; wichtig ist, was sie innerlich bedeuten. Und um diese Bedeutung zu erfassen und sie mit deinem Zukunftsgefühl zu verkoppeln, mußt du das Orakel verstehen und lieben. Und das tust du nicht, Karl. Du verstehst es weder, noch liebst du es. Aber es versteht dich, und jawohl, ich glaube, es liebt dich, und mit mir als Mittler leitet es dich. Doch wir wären beide so froh, wenn du es …“
    „Verstehen könntest.“
    „Ja, Karl. Verstehen könntest.“
    „Ich werde es versuchen.“
    Wieder blickten sie auf das Hexagramm. „Was besagt diese gebrochene Linie?“
    Nach kurzem Zögern erwiderte Ashka: „Er verbirgt seine Schande.“
    Gorstein spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich, doch er blieb ruhig. Schande! Was lasse ich diesen Mann mit mir machen? Schande? Unerträglich! „So daß die ganze schlechte Nachricht lautet: »Persönliche Katastrophe’ – würdest du es so ausdrücken? –, ‚die von einem Fehlschlag im Verlauf dieser Mission herrührt’?“ sagte er laut – es sollte fatalistisch klingen.
    „Wenn es so ist, dann laß es nicht dazu kommen. Außerdem habe ich sehr starke Zweifel daran, daß bei dieser Sitzung überhaupt ein exaktes Resultat herauskommen kann. Es ist von grundlegender Wichtigkeit, Karl, daß du dein inneres Gleichgewicht erlangst, ehe du das ching in dieser Sache weiter

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