Erdwind
Gedanke? Vielleicht sollte man das zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Rationalisten erörtern.
„Ich möchte, daß du das Buch der Wandlungen für mich konsultierst.“
Ashka schien überrascht zu sein. Er schüttelte langsam den Kopf. „Warum? Es wäre sinnlos. Nach etwas zu fragen, worüber man nur sehr wenig weiß, würde nur eine Antwort allgemeinster Art ergeben – einen Trend, eine Voraussage (da du dieses Wort ja so sehr liebst), die alles mögliche bedeuten könnte. Das ching ist erst dann nützlich, wenn deine Kenntnisse über den Aeran ein wirklich brauchbares Niveau erreicht haben. Das weißt du doch sicherlich, Schiffs-Meister.“
„Trotzdem …“, begann Gorstein hartnäckig.
Jetzt wurde Ashka ärgerlich. „Ich lehne ab!“ rief er, bereute jedoch sofort seinen Ausbruch und lächelte, um Entschuldigung bittend. „Entspanne dich, Karl, dann kann ich etwas Nützliches für dich tun.“
Mißmutig entspannte Gorstein sich und sah dem Rationalisten zu. Die Gedächtnisbank war zu einfach, viel zu einfach.
Ashka bezog sich immer nur auf die Wandlungen, oder zum mindesten hatte er bei anderem Bezug nie diese ausfließende, allumfassende Art, die Gorstein so außerordentlich beruhigend fand. Ein Buch oder ein Freund? Was war wichtiger? Er blickte auf das ching und dann wieder auf Ashka. Er schloß die Augen. Ich weiß es nicht … ich weiß es eben nicht.
Auf dem Gang vor dem Logis des Schiffs-Meisters waren Schritte zu hören, die näher kamen, zögerten und sich dann wieder entfernten. Zweifellos eine Bitte um Landgang; es kam nicht oft vor, daß man eine Welt fand, die so günstige Lebensbedingungen bot wie der Aeran, und die Mannschaft war ziemlich lange in der Gilbert Ryle zusammengepfercht gewesen. Aber im Augenblick würde es keinen Landurlaub geben. Wenn die gigantischen Wälle in die Kameraaugen des Schiffes starrten und in der Umgebung der Siedlung, die eigentlich eine ganz konventionelle, wenn auch etwas rückständige Kolonie sein sollte, nicht das geringste Zeichen von Zivilisation zu entdecken war, konnte davon keine Rede sein.
Ashka war an der Arbeit. Nach dem Gedächtnislogbuch des Schiffes entwarf er Gorsteins Persönlichkeitsdiagramm, zeichnete die Observationslinien vom Datum der Landung auf dem Planeten Aeran Aurigae IV ein und setzte die Fragepunkte. Nach einiger Zeit runzelte er die Stirn und warf einen Blick auf Gorstein. Er setzte den Mnemo-Terminal ins Zentrum der Kommunikationsmatte und stellte seine Frage laut. Die Wörter erschienen in leuchtendem Blau ganz oben auf dem Bildschirm.
„Ist Schiffs-Meister Gorsteins Unbehagen in seiner eigenen Person begründet?“
Der Prozeß dauerte eine Sekunde, dann kam die Antwort, kurz und eindeutig: nein.
„Sind äußere Kräfte die Ursache für Schiffs-Meister Gorsteins Unbehagen?“
Unzweideutig: ja.
Gorstein beugte sich vor und wollte etwas sagen, doch Ashka gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen.
„Was sind das für Kräfte?“
Rotlichtantwort: noch unbekannt.
„Welchen Grad von Sicherheit hat die Feststellung, daß es Kräfte sind, die von außerhalb des Schiffes stammen?“
Dreiundneunzig Teile Sicherheit.
„Ist es sinnvoll, das ching …“ – auf dem Schirm erschienen Wellenlinien, was nicht verstanden bedeutete – … „Korrektur: Hat es einen Wert, das I chingzu Rate zu ziehen?“
Der Prozeß dauerte etwas länger. Dann blitzte es im Bruchteil einer Sekunde auf dem Bildschirm: Es ist sinnvoll, das I ching zu Rate zu ziehen, weil dadurch Umfang und Sitz des Unbehagens in der Psyche Schiffs-Meister Gorsteins deutlicher hervortreten und in Beziehung zu den beobachteten Elementen auf dem Aeran gebracht werden könnten. Vorsicht bei der Interpretation!
Gorstein lächelte. Ashka schien hinreichend befriedigt zu sein; er fühlte sich nicht gedemütigt, weil sich seine bisherige Ansicht als falsch erwiesen hatte. Wie hätte er es auch wissen sollen? Etwas außerhalb des Schiffes … höchst bemerkenswert. Etwas außerhalb dieser Metall wände … etwas, das mit dem Planeten oder mit der Kolonie oder mit beiden zu tun hatte. Gorstein hatte nicht etwa Angst – auf diese Idee kam er gar nicht.
Ashka wickelte das Buch aus und legte es vor sich hin. Er öffnete es und nahm drei runde Silberscheiben heraus, die zwischen den Blättern lagen. Er gab sie Gorstein, der sie kurz betrachtete. Es waren sehr alte Münzen; sie zeigten einen Frauenkopf auf der einen und ein seltsames, verwirrendes Pflanzenmuster auf der
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