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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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wo der crog war. Auf allen Seiten war dichter Wald, doch die Muttererde war zu flach, um den dichten Dschungel zu ernähren, der das Werk der Menschenhand nicht erreichen, sondern sozusagen nur von ferne mißbilligend betrachten konnte. Wenn Elspeth genau hinsah, konnte sie jetzt die abgeflachten Gräben erkennen, aus denen die Erde des Hügels stammte.
    „Wie lange steht das schon?“ fragte sie Moir, die den Hügel anstarrte.
    „Weiß nicht. Wohl schon ewig lange.“
    „Ist es ein Grabhügel?“
    „Innen ist ein Gang und ein Tunnel zum crog. Grabhügel?“
    Sie machte ein ganz verwundertes Gesicht. „Warum sollte sich jemand in so einem großen Erdhaufen begraben lassen?“
    „Vor langer Zeit vielleicht? Ehe man die Toten in die Marschen und in die Blaurinden-Friedhöfe brachte?“
    Moir schüttelte den Kopf. Offenbar hatte sie keine Ahnung, wozu der Hügel gedient haben könnte. Sie ging voran, ein Stück um ihn herum, und kroch gebückt in ein kleines Loch. Es war scheußlich eng und unbequem. Der Gang war nur zwei Fuß hoch und knapp zwei Fuß breit, die Wände bestanden aus kleinen, aufeinandergesetzten Steinbrocken, die Decke aus Platten eines Gesteins von mehr kristallinischem Charakter. Von oben drang ein schwacher Lichtschimmer ein, und als sie ein paar Fuß weit hineingekrochen war, fühlte sich Elspeth, auf dem Bauche kriechend, vorsichtig ab und zu nach oben blickend, äußerst unbehaglich.
    Nach ein paar Yards erweiterte sich der Tunnel, so daß Elspeth aufrecht stehen konnte. Sie faßte hoch und konnte gerade die Decke berühren – es mußte eine kreisrunde Kammer sein, etwa zehn Fuß hoch. In der Dunkelheit fühlte sie eine Hand an ihrer Brust, die sich rasch zurückzog: Moir keuchte erschrocken auf, vielleicht weil sie die harten Diamanten in Elspeths Brust gefühlt hatte.
    „Suchst du meine Hand?“ flüsterte Elspeth. Warum flüstere ich eigentlich?
    „Ja“, erwiderte Moir, „warum flüsterst du? Hier hört uns keiner.“
    Elspeth zuckte die Achseln, was ganz unnütz war. „Das kommt mir wie ein heiliger Ort vor. Wo bist du?“
    Ihre Hände berührten und umklammerten sich; Elspeth packte Moirs kleine warme Hand mit ihren kalten Fingern, die zitterten … vor Angst? Oder Erwartung? Aber sie fühlten sich noch immer ein wenig unbehaglich.
    „Das ist einer der alten Ausgänge des crog“, sagte das Mädchen. „Bei manchen Ritualen wird er immer noch benutzt. Da ist ein Loch im Boden …“
    Elspeth fiel auf die Knie, ohne das Mädchen loszulassen. Tatsächlich – sie standen am Rande einer tiefen Grube. Elspeth stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, weil sie nicht weitergetappt war, als der Tunnel so unvermittelt endete; und auf einmal fühlte sie sich auch nicht mehr so beengt.
    „Irgendwo an der Seite führen Stufen hinunter in die Höhlen. Wir müssen uns entlangtasten, bis wir an den Gang nach oben kommen. Hast du Angst vor der Dunkelheit?“
    „Überhaupt nicht“, antwortete Elspeth voller Zuversicht, „nur vor dem, was vielleicht drin ist.“
    „Ich auch“, entgegnete das Mädchen, „aber wenn wir zusammenbleiben, tut’s uns vielleicht nichts.“
    „Was? Was kann uns was tun?“
    Krampfhaft faßte Moir Elspeths Hand fester und gab irgendwelche Laute von sich, die vielleicht bedeuten sollten: Sei still. Das ist, als wenn man blind ist, dachte Elspeth, während sie den Boden der Kammer mit der freien Hand abtastete. Worauf habe ich mich da eingelassen?
    Ihre Finger stießen an etwas Weiches in einer Ecke des Raumes. Weich und krümelig. Sie nahm ein bißchen davon auf und barg es in ihrer Tasche. Wenn es Menschenasche war, würde ihr hinterher wohl etwas komisch zumute sein.
    Einen Moment ließ sie Moirs Hand los und tastete ein Stück der kalten felsigen Wand nach etwaigen Symbolen und Ritzzeichnungen ab. Sie fand ein paar einfache Sonnenbilder und die fließenden, verwobenen Linien, die so aussahen wie ein Fluß auf der Karte, die jedoch eine tiefere Bedeutung hatten, an die Elspeth kaum zu denken wagte … und das aufregendste war die unverkennbare Form einer engen Doppelspirale, zwei Spiralen mit einem gemeinsamen Mittelpunkt, parallel verlaufend. Bevor sie die Zeichnung in dem Pechdunkel genauer erforschen konnte, zupfte Moir sie am Ärmel. „Komm weiter!“
    Zögernd wandte sich Elspeth von der Felswand ab und hockte sich am Loch nieder. So etwas gab es nirgends in den alten Gräbern in Irland, überlegte sie; es sei denn, die Steinplattenböden jener

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