Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
Vom Netzwerk:
gegenüber: vier Männer und zwei Frauen. Der große, starkgebaute Mann, reich gekleidet, fließende Robe und Umhang, genietete Riemen über der Brust – dieser Mann mußte der Führer der Gruppe sein. Er bot einen prächtigen Anblick: tiefliegende Augen, das lange, dunkle Haar zurückgekämmt und im Nacken zu einem ausladenden, gelockten Schweif zusammengebunden. Die Männer und Frauen an seiner Seite sahen nicht so prachtvoll aus; sie waren alle gleich gekleidet und hatten alle die gleiche eindringliche Miene aufgesetzt – eine Maske eindringlicher Ausdruckslosigkeit. Steckte Furcht dahinter?
    Da war einer, ein alter Mann, der an den Wänden der Feuer-Halle entlangging und die Waffen und Wandzeichnungen mit professionellem Interesse studierte. Er bewegte sich auf die Stelle zu, wo Moir und Elspeth hockten. Ob er sie sehen würde?
    Das Feuer prasselte laut. In seinem glänzenden Widerschein traten die Runen und Symbole auf den Felswänden stark, faszinierend, reliefartig heraus. Elspeths Augen sogen alles ein, absorbierten jedes Detail der Feuer-Halle und blieben schließlich auf dem größten Stein der inneren Wand, direkt hinter den Ungenn, haften.
    Der Magen drehte sich ihr um – eine Eingeweidereaktion, wie man sie bei völliger Überraschung hat. Ein großartiges Symbol, eines, das sie auf dieser Welt noch nicht gesehen hatte, und doch eins, das sie wohl kannte: ein großräumiges Drei-Spiralen-Muster, keine fortlaufende Linie, sondern drei Spiralen dicht beieinander in Dreiecksformation, ein doppelter Mittelpunkt, der in Parallelen ausstrahlte, das Auge zum Verfolgen der engen, sich bis zu ausladenden Armen erweiternden Kurven herausforderte, von mikroskopischer Kleinheit bis zu makroskopischer Weite. Ein Symbol, das sie bereits auf der Erde gesehen hatte, ein seltenes, rätselhaftes Symbol. Die Spirale an sich war etwas ganz Gewöhnliches, die Doppelspirale wohlbekannt, und verbundene Spiralen fand man überall auf dem westeuropäischen Kontinent; doch diese Dreierdarstellung war selten … selten auf der Erde, und auf dem Aeran hatte Elspeth sie bis jetzt auch noch nicht gesehen.
    Fragend wandte sie sich zu Moir um und deutete auf das Spiralenmuster. Verwundert, vielleicht weil Elspeth nach so etwas Selbstverständlichem fragte, gab Moir den Blick zurück.
    „Der Erdwind.“
    Es klang ganz einfach, unbedacht, gleichgültig. Der Erdwind, das Symbol, das ihnen das Leben gegeben hatte, aber mehr als ein Symbol war, etwas, das tief in die Vergangenheit des Aeran hineinreichte, bis in die Wurzel dieser primitiven Menschen. Darren war es unangenehm gewesen, daß sie nach dem Erdwind fragte. Moir schien es nichts auszumachen; aber Moir war auch jünger, und vielleicht war sie unbewußter als die anderen jungen Leute, mit denen sie zusammen war. Elspeth bekam Lust, dieses tollkühne Unternehmen auf der Stelle abzubrechen, sich ganz unauffällig auf ihr Schiff zurückzuziehen und dort nachzudenken.
    Moir keuchte erschrocken auf. Elspeth blickte hoch. Der alte Mann aus dem Schiff stand über ihr, an der anderen Seite des steinernen Ringes, und starrte sie an. Verwundert kniff er die Augen zusammen, doch er sagte nichts. Gleich darauf stand ein zweiter Mann neben ihm, aber der sah sie nicht.
    Elspeth erkannte den Seher der Kolonie, einen alten Mann namens Iondai.
    Die beiden Männer schienen einander wortlos, vielleicht unbewußt zu erkennen. Sie blickten sich lächelnd an und wandten sich dann den Stimmen zu, die sich unten, ein paar Yards tiefer in der Halle, in erregter Diskussion erhoben hatten. Das lodernde Feuer, dessen Wärme Elspeth trotz der beträchtlichen Entfernung von den prasselnden Scheiten spüren konnte, warf seltsame, tanzende Schatten auf die Felsenpfeiler und über den trockenen Erdboden. Die Züge des ältlichen Erden-Mannes über ihr schienen sich jedesmal, wenn er den Kopf hierhin oder dorthin wandte, leicht zu verändern, als ob das Fleisch nicht fest säße, sondern ein Eigenleben führe und kompliziertere Gefühle ausdrücke, als der Mann selbst merkte. Es war das Feuer, das Licht, die flackernde Flamme, die bei den Menschen, die so ernsthaft in dem umhüllenden Bogen seiner Wärme beieinandersaßen, das Verborgene an die Oberfläche brachte.
    „Eine andere Welt hat durch die Vollkommene Finsternis nach uns gegriffen.“
    Iondai hatte diese Worte leise ausgesprochen, tonlos, ohne Andeutung, an wen sie gerichtet waren. Der Fremde blickte ihn an. „Wie bitte?“ Er sprach, wenn auch mit

Weitere Kostenlose Bücher