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Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Titel: Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia A. McKillip
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einflößend waren die Geschichten, die man sich über ihn erzählte. Er konnte die Gestalt wechseln. Während der stürmischsten Jahre des Zauberers Suth war er bei diesem in die Lehre gegangen. Auf seinen Händen trug er Narben, die die Form von Vestahörnern hatten, und er verstand sich aufs Rätselraten wie einer der Großmeister.
    Morgon lehnte sich an einen Felsbrocken, schlürfte langsam heißen Wein und überlegte, woher wohl der König sein Wissen haben mochte. Die Neugier, die seit Wochen verschüttet gewesen war, regte sich leise in ihm, und ein Sehnen danach, in die Welt der Menschen zurückzukehren. Er trank den letzten Schluck Wein und beugte sich vor, den Becher in sein Bündel zu packen. Und da sah er jenseits des Lichtkreises seines Feuers ein Paar Augen, das ihn beobachtete.
    Er erstarrte. Sein Bogen lag auf der anderen Seite des Feuers; sein Messer steckte aufrecht im Käse. Ganz langsam streckte er den Arm nach ihm aus. Die Augen zwinkerten kurz. Aus der Dunkelheit kam ein Scharren, ein leises Rascheln; dann trat eine Vesta in den Schein des Feuers.
    Es war ein mächtiges Tier, breit gebaut wie ein Ackergaul, das dreieckige Gesicht so zart und scheu wie das eines Rehs. Das Fell war weiß wie der Schnee; die Hufe und die gebogenen Hörner hatten die Farbe gehämmerten Goldes. Mit unergründlichem Blick beäugte ihn das Tier aus samtigen, violettschimmernden Augen; dann hob es den Kopf, um an einem Fichtenast zu knabbern. Mit angehaltenem Atem, so, als täte er etwas Verbotenes, hob Morgon eine Hand zu dem weißen, leuchtenden Fell. Die Vesta schien die sanfte Berührung gar nicht zu bemerken. Morgon griff zum Brot und riß ein Stück ab. Neugierig senkte die Vesta den Kopf, als ihr der Geruch in die Nase stieg, beschnüffelte das Brot. Morgon berührte das schmale Gesicht; die Vesta zuckte unter seiner Hand, und die violetten Augen, sehr groß und von unergründlicher Tiefe, hoben sich wieder zu seinem Gesicht. Dann senkte die Vesta den Kopf und fraß weiter, während er das Tier sachte zwischen den Hörnern kraulte. Nachdem es das erste Stück Brot ver-speist hatte, beschnüffelte es seine Hand, als wollte es mehr. Morgon fütterte der Vesta Stück um Stück das ganze Brot, bis nichts mehr davon da war. Das Tier beschnupperte flüchtig seine leeren Hände und seinen Umhang, dann machte es kehrt und tauchte beinahe geräuschlos in der Nacht unter.
    Morgon holte tief Atem. Die Vesta, hatte er gehört, waren so scheu wie Kinder. Nur selten sah man ihr Fell in den Handelsgeschäften, denn sie waren den Menschen gegenüber mißtrauisch, und Hars unversöhnlicher Zorn drohte jedem, Händler oder Fallensteller, der es wagte, eine Vesta zu erlegen. Die Tiere folgten dem Schnee, wanderten im Sommer immer tiefer in die Berge hinein. Mit einem plötzlichen Anflug von Beunruhigung überlegte Morgon, was das Tier wohl in der Nachtluft gewittert hatte, das es so weit aus den Bergen heruntergeführt hatte.
    Vor Morgen noch wußte er es. Ein heulender Sturm riß ihm das Zelt über den Kopf weg und fegte es in den Fluß. Dicht an sein Pferd geschmiegt, die Augen zusammengekniffen gegen das scharfe Schneetreiben, wartete Morgon auf einen Morgen, der nicht kommen zu wollen schien. Als er endlich doch heraufzog, zeigte sein Licht Morgon rundum nur ein milchigweißes, undurchdringliches Gebrodel, das selbst den nur zehn Schritte entfernten Fluß verbarg.
    Hilflose Verzweiflung übermannte ihn. Wie wütende Wölfe umtobten ihn die Stürme, und die Kälte drang selbst durch den dicken Umhang mit der Kapuze. Er wußte plötzlich nicht mehr, wo der Fluß lag, hatte das Gefühl, die ganze Welt wäre ein einziges blindes Chaos ohne Muster und Form. Er zwang sich, einen kühlen Kopf zu behalten. Steifbeinig stand er auf. Sein
    Pferd zitterte unter der Decke, die er ihm übergeworfen hatte. Zwischen kältestarren Lippen hervor sprach er beruhigend auf es ein; hörte, wie es nervös aufsprang, als er sich zum Gehen wandte. Den Kopf tief gesenkt, stapfte er beinahe blind durch das Schneetreiben dorthin, wo er glaubte, daß der Fluß sein müßte. Unerwartet tauchte das graue Wasser vor ihm auf, und er wäre beinahe hineingestolpert. Er kehrte um, um sein Pferd zu holen, folgte der Spur seiner Schritte zurück zum Lagerplatz. Doch als er dort ankam, sah er, daß das Pferd fort war.
    Er blieb stehen und rief laut nach ihm; der Sturm drückte ihm die Worte wieder zurück zum Mund. Er sah einen Schatten im Schnee und trat auf ihn

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