Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
und drei für - «, er hob das Schwert, das er trug, und bot Morgon das gestirnte Heft, » - den Tod. Das wurde uns versprochen.«
Er schluckte das Wort hinunter wie Bitterkeit in seinem Mund; seine Finger schlössen sich um die Klinge. »Wer hat euch das versprochen?«
»Die Erde. Der Wind. Der große Krieg vernichtete uns. Darum wurde uns ein Mann des Friedens versprochen.«
»So war das.« Seine Stimme zitterte. »Ich verstehe.« Er ging in die Knie, um mit dem Knaben auf gleicher Höhe zu sein. »Welchen Namen trägst du?«
Der Knabe schwieg, als könnte er nicht antworten. Die starren Linien seines Gesichts veränderten sich. Dann sagte er stok- kend: »Ich war - ich war Tirnon. Mein Vater war Tir, Herr der Erde und des Windes.«
»Ich war Elona«, sagte ein kleines Mädchen plötzlich. Vertrauensvoll kam sie zu Morgon. Das Haar fiel ihr wie ein zu Eis erstarrter Wasserfall über die Schultern. »Meine Mutter war - meine Mutter war. «
»Trist«, ließ sich ein Knabe hinter ihr vernehmen. Seine Augen blickten in die von Morgon, als läse er dort seinen Namen. »Ich war Trist. Ich konnte jede Gestalt von Erde, Vogel, Baum und Blume annehmen. Ich kannte sie. Ich konnte auch die Gestalt der Vesta annehmen.« »Ich war Elore«, sagte ein schlankes Mädchen eifrig. »Meine Mutter war Rena - sie konnte jede Sprache der Erde sprechen. Sie lehrte mich die Sprache der Grillen. «
»Ich war Kara - «
Sie umdrängten ihn, des Feuers nicht achtend. Ihre Stimmen waren träumerisch und kannten keinen Schmerz. Er ließ sie sprechen, während er ungläubig die zarten, leblosen Gesichter betrachtete.
Dann fragte er abrupt, mit seiner Stimme die ihren durchschneidend: »Was geschah? Warum seid ihr hier?« Schweigen antwortete ihm. »Sie vernichteten uns«, sagte Tirnon schlicht. »Wer?«
»Jene aus dem Meer. Edolen. See. Sie vernichteten uns, so daß wir nicht länger auf der Erde leben konnten. Wir konnten sie nicht beherrschen. Mein Vater stellte uns unter seinen Schutz und brachte uns hierher, wo wir vor dem Krieg verborgen waren. Wir fanden einen Ort zum Sterben.«
Morgon war wie erstarrt. Langsam ließ er die Fackel sinken. Schatten spielten wieder über den Kreis von Kindern.
»Ich verstehe«, flüsterte er. »Was kann ich für euch tun?«
»Befreie die Winde.«
»Ja. Wie?«
»Ein Stern wird rufen aus der Stille den Herrn der Winde; ein Stern aus der Dunkelheit den Herrn der Dunkelheit; ein Stern aus dem Tod die Kinder der Erdherren. Du hast gerufen; sie haben geantwortet.«
»Wer ist -?«
»Der Krieg ist nicht beendet, nur zum erneuten Kräftesammeln unterbrochen. Du wirst Sterne von Feuer und Eis zum Ende der Zeiten des Erhabenen tragen - «
»Aber ohne den Erhabenen können wir nicht leben - «
»So ist es uns versprochen. So wird es sein.« Der Knabe schien nicht mehr seine Stimme zu hören, sondern eine Stimme aus der Erinnerung. »Du bist der Sternenträger, und du wirst aus ihrer Macht befreien die - «
Unvermittelt brach er ab.
»Weiter«, drängte Morgon.
Tirnon senkte den Kopf. Er umklammerte plötzlich Morgons Handgelenk.
»Nein«, flüsterte er in tiefer Angst.
Morgon hob seine Fackel. Jenseits der zarten Ovale der Gesichter fing das Licht einen Schatten ein, der nicht weichen wollte. Aus den Fetzen der Finsternis hob sich ein dunkler Kopf; eine Frau mit einem schönen, stillen, scheuen Gesicht sah ihn an und lächelte.
Er fuhr hoch; feurig tanzten die Sterne um ihn. Tirnons Kopf fiel auf die angezogenen Knie. Morgon sah, wie die Konturen seines Körpers miteinander zu verschmelzen begannen. Hastig drehte er sich um und drängte sich durch die steinerne Tür. Sie schleuderte ihn nach draußen, und da sah er auf dem Pfad einen Zug von Männern kommen, die Lichter auf den Flächen ihrer Hände trugen. Sie hatten die Farben und die Bewegungen der See.
Tödliche Angst überfiel ihn und lahmte ihn einen Moment lang. Dann aber sah er aus dem Augenwinkel eine Öffnung, einen schmalen Seitenweg neben sich. Er schleuderte seine Fak- kel so weit wie möglich von sich weg. Wie ein Feuerstern flog sie seinen Verfolgern entgegen. Dann tastete er nach der Öffnung und glitt blinden Auges in eine unbekannte Klamm hinein, deren Wände sich bei jedem Atemzug und jeder Bewegung gegen ihn stemmten. Er tastete sich vorwärts. Seine Hände strichen über nassen, glatten Fels, während er mit Kopf und Schultern immer wieder gegen unerwartete Vorsprünge schlug, die an jeder Windung Hindernisse bildeten.
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