Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
lassen.«
Bere schüttelte den Kopf, als wollte er Morgons Worte fortschütteln.
Er trat noch einen Schritt näher.
Sein Gesicht war flehend.
»Es ist nicht recht, es einfach dort unten zu lassen; seiner einfach nicht zu achten. Es gehört Euch, es ist Euer von Rechts wegen, und wenn es an Schönheit der Harfe gleichkommt, dann gibt es im ganzen Reich keinen Edelmann mit einem herrlicheren Schwert.«
»Ich hasse Schwerter.«
»Es geht nicht um das Schwert«, erklärte Bere geduldig. »Es geht um die Arbeit. Die Kunst. Ich will es behalten, wenn Ihr es nicht wollt.«
»Bere - «
»Es ist nicht recht, daß ich es nicht sehen darf.« Er schwieg einen Moment. »Dann werde ich allein gehen müssen.«
Mit einem geschwinden Schritt war Morgon bei dem Jungen und umfaßte die eckigen, unnachgiebigen Schultern.
»Ich kann dich nicht daran hindern«, sagte er. »Aber ich bitte dich zu warten, bis ich Isig verlassen habe; denn wenn sie dich tot in der Höhle finden, dann möchte ich Danans Gesicht nicht sehen müssen.«
Bere senkte den Kopf. Seine Schultern wurden schlaff unter Morgons Händen. Er wandte sich ab.
»Ich dachte, Ihr würdet mich verstehen«, sagte er, Morgon den Rücken zugewandt. »Ich dachte, Ihr würdet verstehen, was es heißt, etwas tun zu müssen.«
Danach ging er. Müde drehte Morgon sich um. Er warf Holz ins Feuer und legte sich nieder. Lange Zeit lag er da und konnte nicht einschlafen. Er blickte in die Flammen und spürte, wie die Erschöpfung in all seine Glieder hineinkroch. Schließlich trieb er in eine Dunkelheit hinüber, wo seltsame Bilder sich formten und wieder zerplatzten wie die Blasen in einem Kochtopf.
Er sah die mächtigen, dunklen Wände im Inneren des Bergs Isig, deren Adern im Fackelschein silbern, golden und eisenschwarz schimmerten; er sah die Geheimnisse des Bergs, ungeschliffene Edelsteine, Kristalle von Feuer und Eis, mitternachtsblau, rauchgelb, die aus ihrer steinernen Hülle herausbrachen. Gewölbte Gänge, hohe Tunnels wanden sich durch die Schatten, die wie Spinnweben über ihnen lagen. Er stand inmitten eines Schweigens, das seine eigene Stimme hatte. Wie ein Windhauch folgte er den trägen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen dunkler Bäche und Rinnsale, die allmählich tiefer wurden, sich durch versteckte Spalten drängten und sich in große, unergründliche Seen ergossen, in denen winzige namenlose Wesen in einer Welt ohne Farbe lebten. Am Ende eines Wasserlaufs fand er sich in einer Kammer aus milchweißem, blaugeädertem Stein. Drei Stufen führten aufwärts aus einem stillen Tümpel zu einem erhöhten Steinplateau, auf dem zwei lange Kästen aus gehämmertem Gold und weißen Edelsteinen glitzernd im Schein einer Fackel standen. Trauer um die Toten von Isig erfaßte ihn: Sol und Grania, Danans Frau. Er trat in den Tümpel und streckte den Arm nach einem der Särge aus. Unversehens klappte er von innen auf. Ein verschwommenes, unkenntliches Gesicht, das weder Mann noch Frau gehörte, zeigte sich ihm und sprach seinen Namen: >Sternenträger.<
Plötzlich stand er wieder in seiner Kammer, kleidete sich an, während eine Stimme aus den Gängen des Berges ihn rief, leise und drängend wie die Stimme eines Kindes bei Nacht. Er wandte sich zum Gehen, hielt an, schob sich die Harfe über die Schulter. Lautlos stieg er die öde Turmtreppe hinunter, schritt durch den Saal, wo das Feuer zu einem Häufchen glühender Asche zusammengesunken war. Ohne Mühe fand er die Tür des Steintors, das in den Berg selbst hineinführte, in den feuchten, kühlen Schacht, der den Weg zu den Gruben hinunter öffnete. Instinktiv und ohne Zögern fand er den Hauptgang, die Tunnels und Treppen zum tieferliegenden Schacht. Dort nahm er eine Fackel von der Wand. Im abweisenden Fels am Ende des Schachts zeigte sich düster eine Spalte; von dort rief ihn die Stimme, und er folgte ihr ohne Frage. Der Pfad lag in der Dunkelheit, uneben und glitschig vom Wasser, das unablässig von den Wänden tropfte. Die Decke senkte sich so plötzlich, daß er sich unter ihr bücken mußte, dann wieder erhob sie sich in ungeahnte Höhen, während die Felswände ihn von beiden Seiten bedrängten und er die Fackel hoch über dem Kopf tragen mußte, um Durchlaß zu finden. So schwer und lastend wie die Felsmassen des Berges hing die Stille über ihm. Er roch in seinem Traum den schwachen, beißenden Duft flüssigen Steins.
Er hatte kein Zeitgefühl, spürte nicht Müdigkeit noch Kälte;
er gewahrte nur das
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