Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
laufen?«
»Schlagt Ihr vor, daß ich hier warten soll, bis man mich tötet?«
»Die Gestaltwandler griffen Euch hier an und verloren. Da- nans Haus ist bewacht, Ihr habt das Schwert, und die Antworten, die die versteinerten Kinder Euch gaben, sind Euch nicht zu entreißen. Vielleicht werden sie warten, bis Ihr etwas unternehmt.«
»Und wenn ich nichts unternehme?«
»Ihr werdet es tun. Das wißt Ihr.«
»Ja, das weiß ich«, gab er zurück. »Wie könnt Ihr nur so ruhig sein? Nie habt Ihr Furcht; nie seid Ihr überrascht. Ihr lebt seit tausend Jahren, und Ihr habt Euch das Schwarze Gewand der Rätselmeister erworben - wieviel von alledem, was sich zugetragen hat, habt Ihr erwartet? Ihr wart es, der mir in Herun meinen Namen gab.«
Er sah die Bestürzung in den Augen des Harfners, und seine Gedanken kreisten schwerfällig wie alte Mühlsteine um die Frage.
»Was habt Ihr von mir erwartet? Daß ich, nachdem ich mich einmal auf diesen Kampf eingelassen hatte, auch nur ein Ding oder ein Wesen nicht hinterfragen würde? Ihr kanntet Suth - hat er Euch die Rätsel von den Sternen anvertraut? Ihr kanntet Yrth; Ihr habt gesagt, daß Ihr in Isig gewesen seid, als er meine Harfe baute. Hat er Euch gesagt, was er in der Höhle der Ver- lorenen gesehen hatte? Ihr seid in Lungold geboren - wart Ihr dort, als die Schule der Zauberer aufgelöst wurde? Habt Ihr selbst dort studiert?«
Thod richtete sich auf und sah Morgon in die Augen. »Ich bin keiner der Zauberer aus Lungold. Ich habe nie einem anderen als dem Erhabenen gedient. Ich studierte eine Zeitlang an der Schule der Zauberer, weil ich sah, daß ich alt wurde, ohne zu altern, und ich glaubte, mein Vater wäre vielleicht ein Zauberer gewesen. Ich besaß keine großen Gaben der Zauberei, deshalb ging ich wieder fort - weiter geht meine Bekanntschaft mit den Zauberern von Lungold nicht. Ich habe Euch fünf Wochen lang in Ymris gesucht; ich habe zwei Wochen in Kyrth auf Euch gewartet, ohne meine Harfe anzurühren, weil ich fürchtete, jemand könnte mich erkennen und erraten, auf wen ich wartete; ich habe zusammen mit Danans Bergleuten den Berg Isig nach Euch durchforscht; ich sah Euer Gesicht, als man Euch fand. Glaubt Ihr, wenn ich etwas für Euch tun könnte, daß ich es dann nicht tun würde?«
»Ja.«
Gespanntes, knisterndes Schweigen war zwischen ihnen. Morgon griff nach dem Schwert, das Bere abgezeichnet hatte, schwang es in einem weiten, blitzenden Bogen und schlug es gegen die Steinmauer, daß blaue Funken aufstoben. Tief und voll wie eine Glocke klang es auf, ehe er es fallen ließ. Über seine schmerzenden Hände gebeugt, sagte er bitter: »Ihr könntet meine Fragen beantworten.«
Ein paar Tage später durchbrach er schließlich seine Abgeschiedenheit im Turm und ging hinaus in den Handwerkshof. Sein Arm war fast verheilt; seine Kraft kehrte zurück. Er stand im Schnee und roch die Feuer der Schmiede. Die Welt schien ruhig unter einem grauweißen Himmel. Danan rief ihn beim Namen, und er drehte sich um. Der Bergkönig legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Es freut mich, daß es Euch besser geht.« Er nickte. »Die frische Luft tut gut. Wo ist Thod?«
»Er ist heute morgen mit Ash nach Kyrth geritten. Bei Sonnenuntergang wollen sie zurückkehren. - Morgon, ich habe nachgedacht. Ich wollte Euch etwas geben, das Euch eine Hilfe sein kann. Ich habe mir das Hirn zermartert, um mir etwas einfallen zu lassen, und da dachte ich mir, daß es auf Eurer Wanderschaft vielleicht Zeiten geben wird, wo Ihr Euch einfach zurückziehen wollt, vor Feinden, vor Freunden, vor der Welt, um zu rasten, um nachzudenken. Es gibt nichts, das weniger auffällt als ein Baum in einem Wald.«
»Ein Baum. Danan, könnt Ihr mich das lehren?«
»Ihr habt die Gabe der Verwandlung in Euch. Die Gestalt eines Baumes anzunehmen, ist viel einfacher als die einer Vesta. Ihr müßt einfach lernen, ganz still zu werden. Ihr wißt, welche Stille in einem Stein wohnt, oder in einer Handvoll Erde.«
»Ich wußte es einmal, ja.«
»Ihr wißt es tief in Eurem Inneren.« Danan blickte zum Himmel hinauf, dann auf die geschäftigen Arbeiter rundherum. »An einem so stillen Tag wie heute ist es leicht. Kommt! Keiner wird uns vermissen, wenn wir eine Weile verschwinden.«
Morgon folgte ihm aus Harte hinaus, die gewundene, ruhige Straße hinunter, dann hinein in die Wälder hoch über Kyrth. Ihre Füße sanken tief in den lockeren Schnee ein, während sie stumm zwischen weißen Tannen
Weitere Kostenlose Bücher