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Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Titel: Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia A. McKillip
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öffnete den Mund, um etwas zu erwidern; doch unter Meister Cannons unerbittlichem, hartem Blick änderte sie die Taktik.
    »Hör zu, ich weiß, wo Morgon ist, und wo er hin will. Wenn du wartest, wenn du Eliard nur sagst, daß er warten soll -«
    »Dem etwas sagen! Ich hab’ ihm einmal gesagt, es wäre ein schöner Morgen, und da hat er einen ganzen Kübel Abfälle über mir ausgeleert. Über eines sei dir im klaren, Tristan: Wenn Morgon nach Hause kommen will, dann kommt er. Ohne daß wir nachhelfen. Er hat auch überlebt, ohne daß wir ihm halfen. Ich bin sicher, er weiß es zu schätzen, daß dir sein Schicksal so sehr am Herzen lag, daß du versuchtest herauszufinden, was ihm zugestoßen war.«
    »Du könntest mit mir kommen -«
    »Ich brauche schon meinen ganzen Mut dazu, nur hier zu stehen, durch diese bodenlosen Gewässer von Hed getrennt. Wenn du willst, daß er nach Hause kommt, dann kehre selbst nach Hause zurück. Im Namen des Erhabenen, sorge dafür, daß ihn zu Hause Menschen erwarten, die er liebt.«
    Tristan schwieg, während das Wasser plätschernd gegen den Schiffsbauch schlug. Der schmale, schwarze Schatten des Masts lag wie eine Gitterstange zu ihren Füßen.
    »Gut«, sagte sie schließlich und trat einen Schritt vor. »Ich fahre nach Hause und sage Eliard, daß ich wohlauf bin. Aber ich verspreche nicht, daß ich bleiben werde. Nein, das verspreche ich nicht.« Sie machte noch einen Schritt, wandte sich dann Rendel zu und umarmte sie fest. »Seid vorsichtig«, sagte sie leise. »Und wenn Ihr Morgon seht, dann sagt ihm. Sagt ihm nur das, sagt ihm, daß er vorsichtig sein soll. Und daß er nach Hause kommen soll.«
    Sie ließ Rendel los und ging langsam auf Meister Cannon zu. Er legte eine Hand auf ihr Haar, zog sie an sich und ließ dann seinen Arm zu ihrer Taille hinuntergleiten. Rendel sah ihnen nach, als sie den Laufsteg hinunterschritten und sich durch das geschäftige Treiben an den Docks einen Weg bahnten. Sehnsucht nach Anuin riß an ihr, Sehnsucht nach Duac und Elieu von Hel, nach Rood mit seinen krähenscharfen Augen, nach den Geräuschen und Gerüchen von An, nach sonnengebeizter Eiche, nach dem sanften Murmeln des endlosen Stroms der Geschichte, das aus den Tiefen der Erde klang.
    Hinter ihr sagte Bri Corvett behutsam: »Seid nicht traurig. In einer Woche werdet ihr den Wind Eurer eigenen Heimat riechen.«
    »Meint Ihr?« Sie senkte den Blick und sah das weiße Mal auf ihrer Handfläche, das mit An nichts zu tun hatte. Doch als sie seine Sorge spürte, fügte sie ein wenig heiterer hinzu: »Ich glaube, ich muß von diesem Schiff herunter. Würdet Ihr die Leute bitten, mein Pferd herauf zubringen?«
    »Wenn Ihr wartet, begleite ich Euch.«
    Sie legte eine Hand auf seine Schulter.
    »Das ist nicht notwendig. Ich möchte ein Weilchen allein sein.«
    Sie ritt durch das Hafenviertel und dann durch die belebten Geschäftsstraßen der Stadt, und wenn jemand versuchte, ihr zu nahe zu treten, so merkte sie es nicht. Im versinkenden Nachmittag breitete sich ein Netz von Schatten über ihren Weg, als sie in die stille Straße einbog, die zur Schule hinaufführte. Sie wurde sich plötzlich bewußt, daß sie an diesem Tag nirgends in Caithnard die Schüler mit ihren leuchtenden Gewändern gesehen hatte. Auch auf der Straße waren keine. Sie umrundete die letzte Biegung vor der Anhöhe und sah, daß der Park der Schule wie leergefegt war.
    Sie hielt an. Die dunklen, alten Mauern mit den leeren Fenstern schienen Falschheit zu bergen, Verrat an der Wahrheit, der so bitter und schrecklich war wie der Verrat, der im Erlenstern-Berg geschehen war. Der Berg hatte seinen Schatten über das ganze Reich in die Herzen der Großmeister geworfen, bis diese fanden, daß der größte Trug innerhalb ihrer eigenen Mauern war. Die Schüler konnten sie fortschicken, doch sie wußte, daß sie, wenn sie auch sich selbst vielleicht Fragen stellen würden, niemals Struktur und Wesen der Rätselkunst in Frage stellen würden.
    Am Tor stieg sie vom Pferd und klopfte. Als niemand kam, öffnete sie selbst. Der schmale Flur war leer und dunkel. Langsam ging sie vorwärts, während sie durch offene Türen in kleine Kammern blickte, wo einst Schüler umgeben von ihren Büchern und im flackernden Schein einer Kerze endlose Rätselkämpfe ausgetragen hatten. Im Erdgeschoß war niemand. Sie stieg die breite Steintreppe zum ersten Stockwerk hinauf. Dort warteten weitere offene Türen, hinter denen leere Zimmer gähnten.

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