Erdzauber 03 - Harfner im Wind
verschreckt und verwirrt starrte sie in die plötzliche Helligkeit. Die Pferde stampften und schnaubten, während schattenhafte Gestalten zwischen ihnen hin und her huschten und die Stricke lösten, mit denen sie angebunden waren. Eilig wollte Morgon hinlaufen. Ein Ellbogen traf ihn schmerzhaft in die Rippen; er krümmte sich, stieß mit dem letzten bißchen Luft, das seinen Lungen entwich, den neunundfünfzigsten Fluch aus. Der Dieb, der ihn gepackt hielt und wieder hochreißen wollte, ließ einen heiseren Schreckensschrei hören und rannte davon, verschwand in den Bäumen. Der Mann hinter Rendel ließ ihre Handgelenke mit einem plötzlichen unterdrückten Schrei los. Sie wirbelte herum, berührte ihn, und sein Bart ging in Flammen auf. Morgon erhaschte einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht, ehe er zum Fluß hetzte. Die Pferde drohten in Panik zu geraten. Er bemächtigte sich ihres Geistes und warf einen Bann mondheller Stille über sie, bis sie reglos dastanden, wie aus Fels gemeißelt, ohne der Männer zu achten, die an ihnen zogen und zerrten. Die Männer fluchten und schimpften, doch es half nichts. Einer von ihnen sprang auf, trat dem Pferd wütend die Fersen in den Bauch, doch es bebte nicht einmal. Morgon sandte einen stummen Schrei zu ihm, und der Mann fiel rückwärts vom Pferd. Die anderen stoben auseinander, stürzten sich erneut auf ihn, voller Wut und voller Unbehagen. Er leerte seinen Geist, um einen neuen Schrei loszulassen, haschte nach den Fäden ihrer Gedanken. Doch da kam irgend etwas von hinten auf ihn zu, der Mann aus dem Fluß, prallte gegen seinen Rücken und warf ihn zu Boden. Er wälzte sich herum, als er auf der Erde aufschlug, und dann erstarrte er.
Das Gesicht war dasselbe und doch nicht dasselbe. Die Augen kannte er, doch von einem anderen Ort, einem anderen Kampf her. Erinnerung kämpfte gegen Sehen. Das Gesicht war voll, naß, der Bart angesengt, doch die Augen waren zu still, zu berechnend. Ein Stiefel traf von hinten Morgons Schulter. Verspätet rollte er weg. Brennend fuhr etwas über seinen Hinterkopf oder durch seinen Geist, er wußte es selbst nicht. Dann brach ein Großer Schrei wie Donnerkrachen über sie alle herein. Er drückte sein Gesicht ins Farnkraut und krallte die Hände in eine schwankende Erde, während er an seinem Bann über die Pferde festhielt, als wäre dies der einzige feste Punkt in der Welt.
Langsam verklang das Echo des Schreis. Er hob den Kopf. Sie waren wieder allein; die Pferde standen ruhig da, unberührt vom Gewirr der Stimmen und dem Schreien und Wimmern der Tiere rundum in der Finsternis. Rendel ließ sich neben ihm niederfallen, die Brauen zusammengezogen vor Schmerz.
»Haben sie dir etwas angetan?« fragte er.
»Nein.« Sie berührte seine Wange, und er zuckte zusammen. »Aber der Schrei hat mir weh getan. Für einen Mann aus Hed war das ein fantastischer Schrei.«
Er starrte sie an, plötzlich wieder wie erstarrt. »Du hast doch geschrien.«
»Ich habe nicht geschrien«, flüsterte sie. »Du warst es.« »Nein, ich war es nicht.« Er setzte sich auf und hielt sich den Kopf. »Wer, in Hels Namen, hat geschrien?«
Sie schauderte plötzlich, während ihre Augen durch die Nacht schweiften.
»Jemand, der uns beobachtet hat, der uns vielleicht immer noch beobachtet. Seltsam. Morgon, waren das wirklich nur Männer, die unsere Pferde stehlen wollten?«
»Ich weiß es nicht.« Er betastete seinen Hinterkopf mit den Fingern. »Ich weiß es nicht. Sicher waren es Männer, die unsere Pferde stehlen wollten, und deshalb war es so schwer für mich, gegen sie anzugehen. Für einen Kampf waren es zu viele, aber um sie zu töten, waren sie zu harmlos. Und ich wollte nicht allzuviel geistige Kraft gebrauchen, weil ich keine Aufmerksamkeit erregen möchte.«
»Einem hast du den ganzen Körper mit Schweineborsten überzogen.«
Morgon fuhr sich mit der Hand über seine Rippen. »Er hat es verdient«, versetzte er säuerlich. »Aber dieser letzte Mann, der aus dem Wasser kam - «
»Der, dem ich den Bart in Brand setzte?«
»Ich weiß nicht.« Er schob seine Hände über seine Augen, während er versuchte, sich zu erinnern. »Das eben ist es, was ich nicht weiß. Ob der Mann, der aus dem Fluß kam, derselbe war, der hineinlief.«
»Morgon«, flüsterte sie.
»Es kann sein, daß er geistige Kraft gebrauchte; ich bin nicht sicher. Ich weiß es nicht. Vielleicht sah ich nur, was ich zu sehen erwartete.«
»Wenn er ein Gestaltwandler war, warum hat er dann
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