Erdzauber 03 - Harfner im Wind
nicht versucht, dich zu töten?«
»Vielleicht war er nicht sicher, daß ich es wirklich bin. Sie haben mich nicht mehr gesehen, seit ich im Erlenstern-Berg verschwand. Ich war vorsichtig, als ich das Reich durchquerte. Sie würden kaum erwarten, daß ich am hellichten Tag auf einem Ackergaul die Handelsstraße hinunterreite.«
»Aber wenn er argwöhnte - Morgon, du hast die Pferde mit geistigem Bann zur Ruhe gebracht.«
»Es war ein einfacher Ruf der Stille und des Friedens; das hätte seinen Verdacht nicht erregt.«
»Und er wäre auch nicht vor dem Großen Schrei geflohen. Oder? Es sei denn, er lief fort, um Hilfe zu holen. Morgon - « Sie versuchte plötzlich, ihn auf die Füße zu ziehen. »Wollen wir untätig hier herumsitzen? Wollen wir auf den nächsten Angriff warten, diesmal vielleicht von Gestaltwandlern?«
Er entzog ihr seinen Arm.
»Nicht! Das tut mir weh.«
»Wärst du lieber tot?«
»Nein.« Einen Moment lang saß er grübelnd da, den Blick auf dem rasch dahinfließenden, seichten Wasser des Flusses. Ein Gedanke ging ihm durch den Kopf und machte ihn frösteln. »Die Ebene der Winde. Sie liegt direkt nördlich von uns. Dort, wo Heureu Ymris seinen Krieg gegen Menschen und Halbmenschen führt. Dort drüben über dem Fluß könnte ein ganzes Heer von Gestaltwandlern sein.«
»Laß uns aufbrechen. Jetzt gleich.«
»Wir würden nur Aufmerksamkeit auf uns ziehen, wenn wir mitten in der Nacht losreiten. Wir können unser Lager verlegen. Dann will ich den suchen, der geschrien hat.«
So leise wie möglich brachten sie ihre Pferde und ihre Sachen an einen anderen Ort, der weiter entfernt war vom Fluß und näher einer Gruppe von Wagen. Danach verließ Morgon Rendel, um im Dunkel der Nacht einen Fremden zu suchen.
Rendel wollte ihn nicht allein gehen lassen und protestierte.
Er sagte geduldig: »Kannst du so sachte über welkes Laub gehen, daß es nicht raschelt? Kannst du so still stehen, daß die Tiere an dir vorüberziehen, ohne dich zu bemerken? Außerdem muß ja einer die Pferde bewachen.«
»Und was ist, wenn diese Männer wiederkommen?«
»Ja, was ist dann? Ich habe selbst gesehen, wie du mit dem Geist eines Toten umspringen kannst.«
Sie hockte sich unter einen Baum und murmelte etwas vor sich hin. Er zögerte; sie sah so wehrlos und verwundbar aus.
Er holte sein Schwert aus der Luft, hielt die Sterne unter seiner Hand versteckt und legte es vor sie hin. Es verschwand wieder; leise sagte er zu ihr: »Es ist da, falls du es brauchen solltest, unsichtbar durch Blendung. Wenn du es nehmen mußt, werde ich es wissen.«
Er ging davon und glitt lautlos in das Schweigen unter den Bäumen.
Ruhe war wieder eingekehrt nach dem Großen Schrei. Unbemerkt wanderte er von Lager zu Lager, suchte einen, der noch wach war. Doch die Reisenden schliefen friedlich in Wagen oder Zelten oder zusammengerollt unter Decken neben ihren Feuerplätzen. Der Mond warf einen grauschwarzen Schleier über die Welt; Bäume und Farnkraut wirkten wie durchbrochen im Spiel der Schatten. Kein Lüftchen regte sich. Vereinzelte Blätterhände, ein verschlungener Dornenbusch, der sich schwarzumrissen aus dem Licht hob, schienen wie aus Stille gemeißelt. Auch die Eichen standen starr und schweigend. Er legte seine Hand auf eine von ihnen, ließ seinen Geist unter ihre Rinde schlüpfen und spürte den ruhigen Pulsschlag ihrer uralten Träume. Er ging weiter zum Fluß hinunter, schlug einen Bogen um ihr altes Lager. Nichts regte sich. Er horchte durch die Stimme des Flusses hindurch, nahm in seinem Geist die Vielfalt ihrer Töne auf, bestimmte sie einen nach dem anderen und hörte keine menschlichen Stimmen. Er wanderte weiter flußabwärts, still und geräuschlos, begleitet nur von den beherrschten Zügen seines Atems. Er ließ sich in die Oberfläche hineinsinken, auf der er ging, paßte sich dem federleichten Gewicht der Blätter an, der Spannung in einem dürren Zweig. Langsam verdunkelte sich der Himmel, bis er kaum noch sehen konnte, und er wußte, daß er hätte umkehren müssen. Doch er verharrte am Rand des Flusses, das Gesicht der Ebene der Winde zugewandt, und lauschte, als könnte er das Klirren des Schlachtgetümmels in den unruhigen Träumen von Heureus Heer vernehmen.
Schließlich jedoch machte er kehrt und wanderte wieder flußaufwärts. Drei geräuschlose Schritte machte er, dann hielt er an, wechselte anmutig wie ein Tier von Bewegung in Starr-heit. Dort unter den Bäumen stand jemand; ein Schatten ohne
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