Erdzauber 03 - Harfner im Wind
mächtig war, daß sie mich über all meinen Zorn hinweg an ihn band. Ich kam, weil er es wollte. Er wollte es, deshalb kam ich. Verstehst du das?«
»Morgon, du hast ihn geliebt«, flüsterte sie. »Das war die Bindung.«
Er schwieg wieder, während er vor sich das stille, beschat-tete Gesicht jenseits der Flammen sah und dem Schweigen des Harfners lauschte, bis er den dünnen Gesang von Rätseln zu hören glaubte, die wie Spinnweben in der Dunkelheit zu einem weitverzweigten, geheimen Spiel gesponnen wurden, das seinen Tod selbst zum Rätsel machte. Schließlich benebelte eines der Kräuter, die Rendel auf seine Brust und seine Wange gelegt hatte, seinen Geist, und er schlief wieder.
Am folgenden Morgen, als sie zur Zeit der Dämmerung erwachten, lehne er sie die Krähengestalt. Er trat in ihren Geist ein, fand tief in seinem Inneren Bilder von Krähen, Geschichten von ihnen, Erinnerungen, von denen sie kaum wußte, daß sie vorhanden waren; die unergründlichen, krähenschwarzen Augen ihres Vaters, Krähen unter Eichen, die Raiths Schweineherden umringten, Krähen, die durch die Geschichte von An flogen, Totenvögel, Botenvögel, Grabwächter, und ihre Stimmen waren voll von Spott, voll grimmiger Warnung und voll Poesie.
»Woher sind die alle gekommen?« murmelte sie erstaunt.
»Sie gehören zum Landrecht von An. Sie sind ein Teil der Kraft und des Herzens von An. Nicht mehr.«
Eine schläfrige Krähe rief nach ihr von einem der Bäume herunter, die um sie herum standen; sie landete auf seinem Arm.
»Kannst du in meinen Geist eintreten? Hinter meine Augen in meine Gedanken sehen?«
»Ich weiß nicht.«
»Versuch es. Es wird dir nicht schwerfallen.«
Er öffnete seinen Geist dem der Krähe, sog ihn in sich hinein, bis er sein eigenes verwischtes, namenloses Gesicht aus ihren Augen sah. Unter welkem Laub, unter Eichenwurzeln hörte er das Rascheln und Knistern von Bewegung, so klar und präzise wie die Töne einer Flöte. Er fing an, die Sprache der Krähe zu verstehen. Sie krächzte einmal kurz, mehr neugierig als ungeduldig. Dann füllte sich sein Geist mit einer Bewußtheit von Rendel, so als wäre sie in ihm, berührte ihn sanft, durchflutete ihn wie Licht. Einen Moment lang nährten sich die drei Wesen furchtlos, suchend voneinander. Dann schrie die Krähe auf; ihre Schwingen rauschten schwarz an Morgons Augen vorüber. Er war allein in seinem Geist, suchte tastend nach etwas, das aus ihm entwichen war. Eine Krähe flatterte auf und landete auf seiner Schulter. Er sah ihr in die Augen.
Er lächelte langsam. Mit ungeschickt flatternden Schwingen schwang sich die Krähe zu einem hohen Ast hinauf. Sie verfehlte ihn, als sie landen wollte. Dann fing sie sich, und die feine Ausgewogenheit von Instinkt und Verstand in ihr geriet ins Schwanken. Aus der Krähe wurde Rendel.
Atemlos und verdutzt blickte sie auf Morgon hinunter.
»Hör auf zu lachen. Morgon, ich bin geflogen. Und wie, in Hels Namen, komm ich da jetzt wieder hinunter?«
»Flieg.«
»Ich weiß nicht mehr, wie das geht.«
Er flog zu ihr hinauf. Die Schwinge über der nur halb verheilten Wunde war steif. Er verwandelte sich wieder in seine natürliche Gestalt. Warnend ächzte der Ast unter seinem Gewicht.
»Gleich fallen wir in den Fluß!« schrie sie auf. »Morgon, der Ast bricht - «
Mit einem Krächzen flatterte sie wieder auf. Morgon folgte ihr. Sie zogen schwarze Linien durch das Licht des Sonnenaufgangs, erhoben sich hoch über die Wälder, unter sich endloses dunkles Grün und das helle Band der Straße, die es auf ihrem Weg quer durch das ganze Reich durchschnitt. Sie stiegen so weit in die Lüfte, daß die Wagen der Händler nur noch winzige, mühsam dahinkriechende Insekten waren. Sie ließen sich langsam abwärts fallen, kreisten miteinander, während ihre Flügel im gleichen gemächlichen Rhythmus schlugen und sie immer kleiner werdende Ringe in das Sonnenlicht schnitten, bis sie schließlich dicht über dem Fluß einen letzten schwarzen Kreis zogen. Sie landeten im Farnkraut am Ufer und wechselten die Gestalt. Wortlos blickten sie einander an.
»Deine Augen sind voll des Flugs«, flüsterte Rendel.
»Deine Augen sind voll der Sonne.«
Zwei Wochen lang flogen sie in Krähengestalt. Die stillen, goldenen Eichenwälder wichen am Rand des Hinterlands unter ihnen zurück. Die Straße machte einen Knick, wandte sich nordwärts durch üppige, dunkle Fichtenwälder, deren Schweigen unberührt schien vom Lauf der Jahrhunderte. Sie
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