Erdzauber 03 - Harfner im Wind
Wahrnehmung. Ein Gestank nach Macht. «
Er zog ihn durch die gewundenen Straßen. Die Stadt war ruhig, die Menschen saßen beim Essen; die verlockenden Düfte, die aus den Gasthäusern drangen, machten ihnen den Mund wäßrig. Aber sie hatten kein Geld, sahen beinahe aus wie Bettler in ihren abgerissenen Kleidern. Der giftige Hauch verfallener, mißbrauchter Macht zog Morgon zum Herzen der Stadt, durch breite Straßen, die von eleganten Läden und den Häusern wohlhabender Händler gesäumt waren. In der Mitte der Stadt stiegen die Straßen an. Auf dem Gipfelpunkt der Anhöhe verloren sich die prächtigen Häuser. Die Straßen endeten abrupt. Auf einer weiten, verwüsteten Fläche Landes erhob sich die steinerne Hülle der uralten Schule, einstmals aus der Macht und der Kunst der Zauberer erschaffen. Ihre verfallenen, leeren Mauern leuchteten im letzten Licht.
Morgon blieb stehen. Eine seltsame Sehnsucht regte sich schmerzhaft in ihm, als hätte er einen Blick auf etwas getan, das er niemals besitzen konnte und von dem er nie zuvor gewußt hatte, daß er es würde besitzen wollen. Ungläubig sagte er: »Kein Wunder, daß sie kamen. Er hat ihr eine solche Schönheit gegeben. «
In riesigen, halbzerstörten Sälen enthüllte sich ihnen der Reichtum des Reiches. Geborstene Fenster mit zackig gebrochenen Scheiben, die in den Farben von Edelsteinen leuchteten, waren in Gold gerahmt. An den inneren Wänden, die von Feuer geschwärzt* waren, erinnerten halbverkohlte Balken aus heller Esche und Ebenholz, aus Eiche und Zeder noch an kostbare Täfelungen. Hier und dort blitzten an einem vom Feuer angefressenen, umgestürzten Pfeiler noch Beschläge aus Kupfer und Bronze. Hohe Bogenfenster, durch die die Regenbogenstrahlen gebrochenen Lichts fielen, ließen die Illusion von Frieden und Beschaulichkeit ahnen, die die rastlosen, getriebenen Geister, die in der Schule Zuflucht gesucht hatten, eingelullt hatte. Über sieben Jahrhunderte hinweg spürte Morgon ihren Trug und ihre Verheißung - hier hatten sich die begabtesten und mächtigsten Männer und Frauen des Reiches eingefunden, um ihr Wissen miteinander zu teilen, um ihre geistigen Kräfte zu erforschen und beherrschen zu lernen. Wieder bedrängte jene unbestimmte Sehnsucht sein Herz; er konnte ihr keinen Namen geben. Schweigend stand er da und blickte auf die tote Schule, bis Rendel ihn berührte.
»Was ist?«
»Ich weiß nicht. Ich wünschte - ich wünschte, ich hätte hier studieren können. Die einzige Kraft, die ich je kennengelernt habe, ist die Ghisteslohms.«
»Die Zauberer werden dir helfen«, sagte sie, aber darin fand er keinen Trost.
Er sah sie an.
»Würdest du mir einen Gefallen tun? Nimm wieder Krähengestalt an. Ich trage dich auf meiner Schulter, während ich sie suche. Ich weiß nicht, was für Fallen oder Bannsprüche hier noch verwurzelt sind.«
Sie nickte müde, ohne etwas zu sagen, und verwandelte sich. Sie hockte sich auf seine Schulter, dicht an sein Ohr, und er trat auf das Gelände der Schule. Nirgends wuchsen Bäume; Gras wucherte nur stellenweise in den weißen Furchen versengter Erde. Zertrümmerte Steine lagen noch dort, wo sie niedergefallen waren, bargen tief in ihrem Inneren noch immer eine brennende Erinnerung der Macht. Seit Jahrhunderten war hier nichts berührt worden. Morgon fühlte es, als er sich dem Schulgebäude selbst näherte. Der schreckliche Hauch der Zerstörung hing wie eine Warnung über all der Pracht. Er schritt leise vorwärts, öffnete seinen Geist, um ihn in die stillen Hallen vorauseilen zu lassen.
Zimmer und Säle stanken nach einem vertrauten Namen. In vielen fand er Skelette, die unter den Trümmern eingestürzter Wände begraben waren. Erinnerungen an Hoffnung und Kraft und Verzweiflung sammelten sich um ihn wie Gespenster. Er begann leicht zu schwitzen, während Schatten einer alles verheerenden, hoffnungslosen Schlacht sich fein und leicht wie Staub über ihn senkten. Als er den großen, runden Saal im Herzen des Gebäudes betrat, spürte er im Inneren seiner Mauern noch immer den donnernden Widerhall einer entsetzlichen Explosion von Haß und Verzweiflung. Er hörte, wie die Krähe auf seiner Schulter einen rauhen, kehligen Laut ausstieß; ihre Krallen bissen in seine Schulter. Er stieg über die Zimmerdecke hinweg, die in unzählige Teile zerschmettert auf dem Boden lag, und gelangte zu einer Tür im Hintergrund des Saales. Die Tür, die nur noch in Splittern in ihren Angeln hing, führte in eine
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