Erdzauber 03 - Harfner im Wind
waren ihm so vertraut wie seine Familie. Sein Landrecht reichte hinein bis in die Einöden des Nordens, wo er mit den Vesta meilenweit durch die Schneewüsten zu laufen pflegte. Er war von seinem eigenen Gesetz geformt; die Kräfte, die in ihm wohnten, schmiedeten Morgons Herz mit Eis und dann mit Feuer, bis ihm schien, als wäre auch er nur ein Wesen aus Hars Gehirn, oder Har ein Echo seiner eigenen geistigen Kräfte.
Wenn er schlief, träumte er wie ein Landerbe die Erinnerungen Hars. In rastlosen, unglaublich lebendigen Träumen durchlebte er Jahrhunderte, focht Schlachten aus und saß bei Rätsel spielen, die Tage und Jahre dauerten. Er erbaute Yrye, hörte die Stimme des Zauberers Suth, der ihm fünf seltsame Rätsel aufgab, lebte bei den Wölfen, bei den Vesta, zeugte Erben, saß zu Gericht und wurde so alt, daß seine Lebensjahre nicht mehr zu zählen waren. Schließlich verloren sich die bunten, fiebrigen Träume; Morgon versank tief in sich selbst, in eine traumlose Nacht. Er schlief tief und reglos, bis ein Name in seinen Geist wehte. An ihm hielt er sich fest und zog sich wieder in die Welt hinauf. Zwinkernd erwachte er und sah, daß Rendel neben ihm kniete.
Sie lächelte ihn an. »Ich wollte sehen, ob du lebendig oder tot bist.« Sie nahm seine Hand; seine Finger schlössen sich um die ihren. »Du kannst dich bewegen.«
Langsam setzte er sich auf. Die Hütte war leer; draußen konnte er das Toben der Winde hören, die am Dach zerrten. Er wollte sprechen, doch seine Stimme weigerte sich zunächst.
»Wie - wie lange habe ich geschlafen?«
»Über zweitausend Jahre, sagte Har.«
»So alt ist er?« Er starrte ein Weilchen ins Leere, dann beugte er sich zu ihr und küßte sie. »Ist es Tag oder Nacht?«
»Es ist Mittag. Du hast beinahe zwei Tage geschlafen. Du hast mir gefehlt. Meine einzige Gesellschaft war Hugin, mit dem ich ab und zu ein bißchen sprechen konnte.«
»Wer?«
Ihr Lächeln vertiefte sich. »Erinnerst du dich an meinen Namen?«
Er nickte. »Du bist eine zweitausend Jahre alte Frau namens Rendel.«
Still saß er da und hielt ihre Hand, während er die Welt um sich herum wieder Gestalt annehmen ließ. Der Wind riß ihm die Tür aus der Hand, als er sie öffnete. Die ersten Schneeflocken wirbelten durch die Luft und lösten sich auf. Der eisige Sturm zertrümmerte die Stille in seinem Geist, fegte eisig und erbarmungslos über ihn hin und holte ihn aus seinen Träumen zurück. Hand in Hand mit Rendel rannte er über den Hof, hinein in die Wärme im Hause des Königs.
Am Abend, als er in seiner Kammer am Feuer lag, kam Har zu ihm. Rendel hatte ihn allein gelassen, und er hatte sich tief in seine Gedanken vergraben, um langsam das Wissen in sich aufzusaugen, das er sich geholt hatte. Als Har eintrat, mußte er sich wieder nach außen kehren. Ihre Blicke trafen sich über dem Feuer in friedvollem, wortlosem Einverständnis. Dann setzte sich Har, und Morgon richtete sich auf, legte ein paar Scheite ins Feuer, so daß die schläfrigen Flammen wieder erwachten.
»Ich bin gekommen«, sagte Har leise, »mir zu holen, was Ihr mir schuldet.«
»Ich schulde Euch alles.« Er wartete.
Das Feuer verwischte sich langsam vor seinen Augen; er war wieder tief in sich selbst, diesmal in seinen eigenen Erinnerungen.
Der König durchschritt diese ein wenig ziellos, nicht sicher, was er finden würde. Sehr früh während seiner Erkundungen gab er Morgon in höchster Verblüffung frei.
»Ihr habt einen alten, blinden Zauberer geschlagen?«
»Ja. Ich konnte ihn nicht töten.«
Ein eisiges Licht glomm in den Augen des Königs. Es war, als wollte er sprechen; statt dessen wanderte er wieder in Morgons Erinnerungen hinein. Sie führten ihn kreuz und quer von der Handelsstraße nach Lungold und zum Erlenstern-Berg und schließlich in die Einöde, wo Morgon in wochenlanger Einsamkeit die Gesänge der Winde auf seiner Harfe gespielt hatte. Er sah zu, wie der Harfner starb; er hörte Yrth in Isig mit Morgon und Danan sprechen; er vernahm Rendels Stimme, als diese Morgon ein Rätsel aufgab, das ihn aus den Einöden zurückführte ins Land der Lebenden. Dann ließ er Morgon abrupt frei und wanderte rastlos wie ein Wolf durch die Kammer.
»Thod.«
Der Name machte Morgon kalt; es war, als hätte Har mit einem Wort das Undenkbare in Wahrheit verwandelt. Der König wanderte zu ihm hin und blieb schließlich neben ihm stehen. Stumm starrte er in die Flammen. Morgon senkte müde seinen Kopf auf die Arme.
»Ich
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