Erdzauber 03 - Harfner im Wind
seinen Becher zum Tisch, um sich mehr Wein einzuschenken.
»Ich auch.« Als Morgon ihn ansah, fragte er: »Und Ihr?«
»Nein.«
»Warum nicht? Er ist ein Rätsel. Und Ihr seid ein Rätselmeister.«
Morgon dachte zurück.
»Als ich das erstemal mit Astrin auf der Ebene der Winde war, hatte ich mein Gedächtnis verloren. Für mich gab es damals nur ein Rätsel, das ich lösen wollte. Und das zweitemal.« Er seufzte ein wenig. »Ich überquerte die Ebene damals sehr eilig bei Nacht. Ich verfolgte einen Harfner. Nichts hätte mich aufhalten können.«
»Dann«, meinte Har leise, »solltet Ihr es vielleicht einmal versuchen.«
»Wo habt Ihr Euren Verstand!« protestierte Nun. »Auf der Ebene muß es doch wimmeln von Erdherren.«
»Ich habe meinen Verstand immer beisammen«, entgegnete Har.
Ein Gedanke durchzuckte Morgon; er seufzte wieder, ohne sich dessen bewußt zu sein, und Rendel hob den Kopf und rieb sich die Augen.
»Er steht unter einem Bann der Täuschung. Kein Mensch kann seine Spitze erreichen. Einen Bann der Täuschung legt man nur, wenn man etwas verbergen will, was unsichtbar bleiben soll. Was aber kann sich seit so langer Zeit dort oben auf der Spitze des Turms verbergen?«
»Der Erhabene«, meinte Rendel schläfrig. Sie starrten sie an. Nun mit der qualmenden Pfeife in der Hand; Har den Weinbecher auf dem Weg zum Mund. »Nun ja«, fügte sie hinzu, »das ist es doch, wonach alle suchen. Und das ist vielleicht der einzige Ort, wo noch niemand gesucht hat.«
Hars Blick wanderte zu Morgon, und Morgon fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, während sich sein Gesicht in einem Ausdruck staunender Verwunderung aufhellte.
»Vielleicht. Har, Ihr wißt, daß ich es versuchen werde. Aber ich dachte immer, dieser Bann der Täuschung wäre ein vergessenes Werk der toten Erdherren, nicht - nicht das Werk eines lebenden Erdherren. Wartet.« Er setzte sich kerzengerade auf und starrte vor sich hin. »Turm der Winde. Der Name allein - der Name - Wind.« Sie erhoben sich plötzlich in seiner Erinnerung, der dröhnende Wind vom Erlenstern-Berg, die wilden Winde der Einöden, die zu den Tönen seiner Harfe sangen.
»Turm der Winde.«
»Was seht Ihr?«
»Ich weiß es nicht. Eine Harfe, die mit Saiten aus Wind bespannt ist.« Als die Worte in der Stille erstarben, wurde ihm bewußt, daß er nicht wußte, wer die Frage gestellt hatte. Die Vision erlosch, und ihm blieben nur Worte und die Gewißheit, daß sie irgendwie zusammengehörten. »Der Turm. Die gestirnte Harfe. Der Wind.«
Er fegte einen Hermelin von seinem Stuhl und setzte sich langsam nieder.
»Könnt Ihr das Wesen der Winde lernen wie das Landrecht?« fragte er ungläubig.
»Ich weiß es nicht.«
»Ich verstehe. Ihr habt es noch nicht versucht.«
»Ich wüßte nicht, wie ich es anstellen sollte.« Er fügte hinzu: »Einmal verwandelte ich mich in Wind. Um zu töten. Das ist das einzige, von dem ich weiß, das ich es tun kann.«
»Wann -?« Har unterbrach sich und schüttelte den Kopf.
Es war sehr still im großen Saal; Tieraugen funkelten im Halbdunkel. Yrth wollte seinen Becher niederstellen und traf klirrend den Rand des Tabletts. Nun führte ihm die Hand.
»Eine geringe Entfernung«, murmelte er zerknirscht.
»Ich glaube«, meinte der Wolfskönig, »wenn ich anfange, Euch zu befragen, wird das das längste Rätsel werden, das ich je zu lösen versuchte.«
»Ihr habt mir schon das längste aller Rätsel gestellt«, versetzte Morgon. »Vor zwei Jahren, als Ihr mir im Schneesturm das Leben gerettet habt und mich in Eurem Haus aufnahmt. Ich versuche noch immer, es für Euch zu lösen.«
»Vor zwei Jahren lehrte ich Euch die Gestalt der Vesta. Jetzt seid Ihr zurückgekommen, mein Landrecht zu lernen. Was werdet Ihr als nächstes von mir verlangen?«
»Ich weiß es nicht.« Er leerte seinen Becher und setzte ihn nieder. »Vertrauen vielleicht.« Geistesabwesend zeichnete er den Rand des Bechers mit seinen Fingerspitzen nach. Er war plötzlich erschöpft; am liebsten hätte er seinen Kopf zwischen die Teller auf den Tisch gelegt und wäre eingeschlafen. Er hörte, wie der Wolfskönig aufstand. »Fragt mich morgen.«
Har berührte seine Schulter. Als er mühsam seine Augen öffnete und aufstand, dem König aus dem Saal zu folgen, fand er nichts Seltsames an der Antwort.
Er schlief traumlos bis zum Morgengrauen an Rendels Seite in der warmen, reichausgestatteten Kammer, die Aia ihnen bereitet hatte. Doch als der Himmel langsam heller wurde,
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