Erfolg
bißchen komisch vorkam mit ihrer erfolglosen Zappelei für den Mann Krüger. Führte sie diesen Kampf nicht recht dilettantisch? Jedenfalls wollte sie mit Tüverlin über diese Sache erst sprechen, wenn sie ihm Handfesteres, Aussichtsvolleres mitzuteilen hatte. Jetzt, durch die Unterredung mit dem Prinzen, wurde ihre Angelegenheit die etwas lächerliche Romantik los, die Tüverlin bisher nicht zu Unrecht darin gefunden hatte. Jetzt hatte sie Boden. Jetzt war es eine Lust für sie, sich mit dem Schweizer über den Mann Krüger klar auseinanderzusetzen.
Nicht sagte sie sich, daß sie vielleicht andere Gründe an dieser Auseinandersetzung gehindert hatten. Martin Krüger war nicht der erste Mann in Johannas Leben. Jacques Tüverlin gefiel ihr. Wenn sie seine breiten Schultern sah, seine schmalen Hüften, seine kräftigen, überflaumten Hände, sein gescheites, skeptisches, bei ihrem Anblick helleres Gesicht, war die einzige Hemmung der Gedanke an den Mann Krüger. Beim Tanzen, wenn sie den Körper Tüverlins spürte, bei Gruß und Abschied, wenn er ihre Hand lange hielt, störte sie der Gedanke an den Mann hinter dem Gitter. Sie wußte, daß Martin Krüger selber die Vorstellung physiologischer Treue unwichtig, vielleicht läppisch erschienen wäre; aber das Bild des Mannes in Odelsberg mischte sich auf unerträgliche Art in jede engere Berührung mit Tüverlin.
Nachdem sie für Martin etwas erreicht hatte, war ihr, als habe sie eine Schuld bezahlt. Bisher, wenn sie mit Tüverlin zusammen war, war es gewesen, wie wenn ein Schuldner Geld an einen Dritten hinausschmeißt, während der Gläubiger darbt. Jetzt war der Gedanke an den Mann zwischen den ummauerten Bäumen kein Hemmnis mehr.
Sie schüttelte, von der Unterredung mit dem Kronprinzen kommend, Pfisterer sogleich ab, vermied die Tante Ametsrieder. Suchte Jacques Tüverlin. Suchte ihn im Hotel, auf der Übungswiese. Je länger sie ihn nicht fand, so drängender wünschte sie, endlich die Geschichte mit Krüger klarzulegen. Es war eine Dummheit, daß sie ihn geheiratet hatte; aber es war eine notwendige Dummheit, die sich bezahlt machte durch größere Freiheit. Das alles mußte sie Tüverlin erklären. Wo steckte er? Auch auf dem Eisplatz war er nicht, nicht in dem kleinen Café Werdenfels, wo er Zeitungen zu lesen pflegte. Jemand sagte ihr, er glaube, Herrn Tüverlin mit einem andern Herrn gesehen zu haben auf der großen Hauptstraße, die aus dem Ort hinausführte. Johanna ging die Hauptstraße entlang, traf Bekannte, fertigte sie ab. Ging bis zur Peripherie des Ortes, setzte sich schließlich in die Konditorei »Alpenrose«. Unter den Ranken der Alpenrosen, zwischendem Stampftanz der grünbehuteten Burschen und der weitröckigen Dirndln, wartete sie, vor einer Tasse sehr heller Milchschokolade, auf Jacques Tüverlin.
21
Die Funktion des Schriftstellers
Dieser Schriftsteller Jacques Tüverlin ging mittlerweile, etwa eine kleine Stunde von der Konditorei »Alpenrose« entfernt, auf der Hauptstraße mit dem Ingenieur Pröckl. Sie debattierten eifrig, wenig achtend auf die berühmte Winterlandschaft ringsum, ab und zu ausgleitend auf dem glatten, harten Schneegrund. Jacques Tüverlin, in gebauschten Hosen, die, die Waden frei lassend, bis unter die Knie reichten, in dreimal genähten, gegen Schnee und Wasser gut schützenden, genagelten Stiefeln, Pröckl hingegen mit langen Röhrenhosen und Schuhen mit Gummisohlen, nicht sehr geeignet für den Winter in den Bergen. Die Stimmen der Männer, die helle, schreiende Kaspar Pröckls und die lässige, gequetschte Tüverlins, kamen durch die Schneeluft, unterbrachen sich, wenn einer ausglitt, setzten sogleich wieder ein; denn sie waren sehr vertieft in ihr Gespräch.
Der Ingenieur Pröckl verlangte von Tüverlin gebieterisch, daß er aktivistische, politische, revolutionäre Literatur mache oder keine. Hatte es Sinn, während der gewaltigen Umstellung der Welt läppische, kleine Gefühlchen einer sterbenden Gesellschaft festzuhalten? Sanatoriums-, Winterkurortpoesie zu machen, während der Planet zerrissen wurde vom Klassenkampf? Wenn einmal gefragt wurde: »Und was hast du während dieser Zeit gemacht?«, was dann hatte man aufzuweisen? Verwinkelte, nach altmodischen Parfüms duftende, erotische Spielereien, rein modische, in zehn Jahren nicht mehr begreifbare. Vom Sinn der Zeit hatte man nichts kapiert. Während die Welt brannte, hatte man die Seelenregungen von Haustierchenbeobachtet. Schriftstellerei, wenn sie
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