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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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können. Der Zusammenstoß Asiens mit Europa sei ein Thema für ästhetische Tees. Der andere Kampf, der wirtschaftliche, sei für jeden aktuell, sei da, an jedem Ort und zu jeder Stunde um sie herum. Die Menschen um sie herum seien gespalten in zwei Klassen, die sich bekriegen. Bürgerkrieg sei. Dieser Bürgerkrieg sei Herrn Tüverlins naturgegebener Gegenstand, vor dem er sich nicht feig drücken könne. Er könne sich nicht in die Betrachtung chinesischen Porzellans vertiefen, während rings um ihn die Maschinengewehre tickten. »Hier ist Rhodus, hier springen Sie!« forderte er. Und während ein Fuhrmann kopfschüttelnd ihn betrachtete, vor sich hin sagend: »So ein Hammel, so ein damischer«, wiederholte er mehrmals mit gellender Stimme: »Hier ist Rhodus, hier springen Sie!«
    Tüverlin hätte nun hierauf mancherlei zu erwidern gehabt, etwa: er sei keine militante Natur, eine Eigenschaft, die er mit schätzungsweise vierhundert Millionen Asiaten gemein habe; er sei eben einmal an ökonomischen Fragen innerlich weniger interessiert als an denen des großspurig so genannten ideologischen Überbaus, und er denke nicht daran, hier zu springen: als er plötzlich sah, daß Kaspar Pröckl überhaupt nicht mehr auf ihn achtete. Vielmehr verzerrte sich das hagere Gesicht des Ingenieurs zu einer erschreckenden Maske der Wut, und mit diesem Gesicht starrte er in einen Schlitten, der ihnen entgegenkam und in dem, unförmig in Pelze gehüllt, ein massiger Herr saß, der den pelzbemützten, fleischigen Kopf mit dem strahlend schwarzen Schnurrbart höflich gegen den Ingenieur neigte. Pröckl indes dankte nicht, sondern stierte immer mit dem gleichen Haßgesicht den massigen Herrn an. Dann, als der Wagen vorbei war, sagte er zu Tüverlin unwirsch, er müsse zurück. Bei diesem Sauwettersei es auch am Tag eine scheußliche Rückfahrt nach München, und es sei höchste Zeit.
    Auf dem Rückweg ins Hotel machte Pröckl bittere, zynische Anmerkungen über die sportlich modischen, eleganten Frauen, die ihnen entgegenkamen. »Der schiere Strich, das lasterhafte Tal«, zitierte er dunkel und obszön, und Tüverlin wußte nicht, ob das ein Vers war aus den Shakespeare-Sonetten, die gestern der Ingenieur merkwürdigerweise in einer Luxusausgabe bei sich getragen hatte, oder aus sonst einem bei Pröckl beliebten Lyriker.
    Pröckl fuhr sein Auto aus der Garage. Es war von Natur mißfarben und jetzt sehr schmutzig, denn er hatte es nicht waschen lassen. Er ging hinauf in sein Zimmer und holte sein Gepäck, Kamm, Schwamm, Zahnbürste, in Zeitung eingewickelt. Auch die Luxusausgabe der Shakespeare-Sonette. Jacques Tüverlin wartete darauf, daß der junge Ingenieur, der ihn sehr interessierte, eine neue Zusammenkunft in München anregen werde. Aber Kaspar Pröckl schwieg, finster, die Augen nach innen gestellt. Während er das Auto ankurbelte, fragte er sich, warum eigentlich er nach Garmisch gefahren sei. Mit seinem Projekt, mit dem Serienwagen, war er nicht weitergekommen. Nicht einmal Johanna hatte er gesprochen. Er war ein Mordsrindvieh, daß er die hundert Pfund nicht genommen hatte; die Anni wird mit Recht schimpfen. Alles in allem war er in Garmisch gewesen, um dem gewissen Herrn von Reindl seine Balladen vorzusingen. Was er nach Hause brachte, war seine Entlassung und die Shakespeare-Sonette.
    Es dauerte ziemlich lange, bis der Motor in der scharfen Kälte ansprang. Jacques Tüverlin stand am Wagen, in seinen gebauschten Kniehosen, schlenkrig, elegant, machte sachverständige, fahrtechnische Anmerkungen; er war oft auf winterlichen Straßen gefahren. Endlich lief der Motor. Kaspar Pröckl, während er anfuhr, sagte unvermittelt mit scharfer, zurechtweisender Stimme zu Tüverlin, daß übrigens auch die Lehre Buddhas nichts weiter sei als primitiver, wissenschaftlich noch nicht genügend fundierter Marxismus.
    Tüverlin, vergnügt, aufgefrischt durch die Debatte, ging voll belebter Gedanken die Straße zurück. Sah im Innern der Konditorei »Alpenrose« Johanna Krain sitzen. Freute sich, mit ihr, einer einfühlsamen Partnerin, das abgebrochene Gespräch mit Pröckl weiterzuführen. Er ging in die Konditorei. Mit seinen schlenkrigen Schritten stelzte er auf das große Mädchen zu, das blühend dasaß in grauem Kostüm, die graue Pelzjacke geöffnet, blätternd in einer illustrierten Zeitung.
    Johanna saß so seit mehr als einer Stunde unter dem Alpenrosengerank, zwischen Schlagsahne verzehrenden Kleinbürgern. Die Milchschokolade, von

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