Erfolg
bleiben soll, muß den Wind der Zeit im Rücken haben. Oder eben sie wird nicht bleiben. Dokumente der Zeit machen müsse der Schriftsteller. Das sei seine Funktion. Sonst sei seine Existenz ohne Sinn.
Diese Thesen stellte der Ingenieur Kaspar Pröckl auf, während er in seiner verschwitzten, unzweckmäßigen Lederjacke mit dem Schriftsteller Tüverlin spazierenging auf der Hauptstraße, die von Garmisch-Partenkirchen südwärts führte. Er wurde sehr aggressiv, schrie Herrn Tüverlin seine Forderungen ins Gesicht, mehrmals ausgleitend, manchmal vor einem entgegenkommenden oder überholenden Schlitten in die schmutzigen Schneehaufen des Straßenrandes springend.
Tüverlin hörte ihm aufmerksam zu, ließ ihn ausreden, ließ sogar zweimal eine kleine Pause vorbeigehen, ohne sie zu einer Erwiderung zu benützen. Dann erst, vorsichtig, setzte er an. Der Herr sehe also die Funktion des Schriftstellers darin, Dokumente der Zeit aufzuzeichnen, zu konservieren, was in der Zeit historisch, Geschichte wirkend, wesentlich sei. Aber woher nehme der Herr seine Maßstäbe? Er für sein Teil zum Beispiel sei nicht so unbescheiden, seine Wertung dessen, was Geschichte wirkend sei, für normativ zu halten. Für noch viel weniger normativ freilich halte er die Wertung des Herrn. Sei der doch von seiner Geschichtsauffassung so besessen, daß er gar nicht erst bedenke, ob einer nicht außerhalb seiner Kategorien das Bewegungsmoment der Zeit sehen könne. Ihm, Tüverlin, zum Beispiel scheine der Zusammenstoß der alten asiatischen Kulturen mit der jungen, barbarischen Europas, die durch den erleichterten Verkehr bewirkte neue Völkerwanderung mit all ihren Begleiterscheinungen viel wesentlicher als die soziologische Umschichtung Europas. Er müsse den Herrn ernstlich auffordern, das Jahrzehnt einmal nicht unter dem beliebten Sehwinkel der ökonomischen Neuordnung Europas anzuschauen, sondern eben unter dem dieser neuen Völkerwanderung und Kulturmischung. Er müsse ihn ernstlich auffordern, unter diesem, und nur unter diesem Sehwinkel zu arbeiten.
Dies brachte er vor mit seiner gequetschten, etwas komischen Stimme, doch nicht ohne Entschiedenheit. Er wollte hinzufügen, so gewiß sich der Herr diese Zumutung entschieden verbitten werde, so entschieden müsse er sich verbitten, daß man ihm die Grundanschauung vorschreibe, aus der er seine Visionen beziehe. Seine Weltanschauung sei für niemand verbindlich, nur für ihn. Aber für ihn sei sie es. Es sei Anmaßung, ihm das bestreiten zu wollen. Er für sein Teil sei nicht so anmaßend, seine Auffassung des Epochemachenden als verbindlich auch für andere zu erklären. Solche Prätension überlasse er Machtmenschen, Politikern, Pfaffen, Hohlköpfen.
Das also wollte er hinzufügen. Er kam aber nicht dazu. Sie waren nämlich bereits am Rand des Ortes, die Straße war eng hier, ein Schlitten klingelte so rasch heran, daß Tüverlin gerade noch Zeit fand, beiseite zu springen, während Kaspar Pröckl auf der andern Seite in eine Haustür hineingedrängt wurde. Als sie wieder nebeneinander waren, konnte sich Pröckl unmöglich länger bezähmen, er konnte den offenbaren Schmarren des andern nicht zu Ende hören, sondern mußte den frechen Unsinn auf der Stelle widerlegen. Er käme kaum viel weiter, sagte er also höhnisch, wenn er die freundliche Aufforderung des Herrn befolgte, nur von dessen relativistisch ästhetisierendem Sehwinkel aus zu arbeiten. Er konstruiere nämlich, mit der gütigen Erlaubnis des Herrn, Autos. Da würde es ihm einen Dreck nützen, wenn er das unter dem Sehwinkel des Zusammenstoßes der chinesischen mit der angelsächsischen Kultur machte. Er heiße übrigens Pröckl, Kaspar Pröckl, beschäftigt, aber nicht lange mehr, bei den Bayrischen Kraftfahrzeugwerken. Er heiße Tüverlin, quetschte Tüverlin. »Na also«, sagte Kaspar Pröckl einlenkend, beinahe höflich, denn er kannte den Namen. Kein Mensch verlange, fuhr er dann sogleich wieder scharf fort, daß er oder Herr Tüverlin zu dem Problem Asien-Europa Stellung nehme. Von dem Platz aus, an den sie gestellt seien, könne da weder er noch Tüverlin etwas fördern oder hindern.Aber der andere Standpunkt, der ökonomische, der sei fruchtbar für sie beide. Er zum Beispiel habe aus dieser Einstellung heraus seine Konstruktion des Wagens für den kleinen Mann gefunden. Er könne sich nicht denken, daß nicht auch Tüverlin von diesem marxistischen Sehwinkel aus leichter, freier, vernunftmäßiger sollte arbeiten
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