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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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zwei.« Kaspar Pröckl sah den Herrn an und sah, daß er unter einem scharfen, rotblonden Kopf, unter einem nackten, verknitterten Gesicht einen breitschultrigen, kräftigen Körper hatte. Aber Kaspar Pröckl war aufs äußerste gereizt, wünschte Entladung, suchte sich, trotz der offensichtlichen Gefahr, unter den aufgestapelten Zeitungen die seine heraus. Der Herr faßte mit lockerer Hand den Zeitungshalter am anderen Ende. Kaspar Pröckl hielt den Stiel fest, hob die freie Hand. »Ich rate Ihnen ab«, sagte mit seiner vergnügten, gequetschten Stimme der Herr, den Kaspar Pröckl achtsam im Aug haltend. »Falls Sie nicht Jiu-Jitsu können, ist es ganz aussichtslos.« Dem Kaspar Pröckl schien das, wie er den Herrn ansah, zu stimmen. »Was wollen Sie übrigens mit der ›Roten Fahne‹?« fuhr der Herr fort. »Wenn Sie ernsthaft politisch interessiert sind, dann können Sie sich an meinen Tisch setzen und hier die Zeitung lesen.« Dem Kaspar Pröckl gefiel der Mann, und er setzte sich zu ihm. Der Herr reichte ihm höflich die »Rote Fahne«, blinzelte hinüber, was Kaspar Pröckl las, sah, daß es ein Aufsatz war über die Funktion der Kunstmuseen im bolschewistischen Staat. »Finden Sie nicht«, fragte er, »daß dieser Bursche Blödsinn schreibt?« Pröckl, ablehnend, äußerte: »Ich fürchte, es gibt kein Dutzend Leute, die darüber was Gescheites zu sagen haben. Das ist unerschlossenes Gebiet.« – »Ich habe ein Jahr damit verloren«, quäkte munter der Herr, »um daraufzukommen, daß der Marxismus Sinn für mich hat, und noch ein Jahr, um zu entdecken, daß er keinen Sinn für mich hat.« Kaspar Pröckl schaute ihn mit einem ganz kleinen Blick aus seinen tiefliegenden Augen an, prüfend, las die »Rote Fahne«. »Das Schwierige für mich ist«, fuhr Tüverlin fort, »daß ich zwischen den Klassen stehe. Ich bin nämlich Schriftsteller.« – »WollenSie mich nicht endlich in Ruhe lesen lassen?« sagte finster, doch leise Kaspar Pröckl. »Zur Zeit bin ich der Meinung«, quäkte munter der Herr, »daß das deutlichste Motiv meiner Handlungen der Spaß ist. Der reine Spaß, Sie verstehen? Es gibt eine berühmte Glorifizierung des Spaßes in einem antiken Theaterstück. Spaß ist darin aufgefaßt ungefähr als eine Kreuzung und Durchkreuzung der zivilisatorischen Vernunft durch den Naturtrieb. Das Stück ist von einem Manne namens Euripides und heißt ›Die Bacchantinnen‹. Kennen Sie es zufällig?« – »Ich kenne es nicht«, erwiderte Pröckl, die Zeitung weglegend, »aber ich gebe Ihnen zu, daß dieser Artikel Schmarren ist.« Er schaute sich seinen Tischgefährten genauer an. »Was war das übrigens für ein Blödsinn, den Sie da über Spaß gesagt haben und über Soziologie?«
    Auf diese Art gerieten der Schriftsteller Jacques Tüverlin und der Ingenieur Kaspar Pröckl in ein angeregtes Gespräch über Marxismus. »Sie sind der unlogischste Mensch, der mir jemals untergekommen ist«, sagte schließlich Herr Tüverlin anerkennend. Er bestellte ziemlich viel Alkohol, trank ihn mit Genuß, und Pröckl, gegen seine Gewohnheit, hielt mit. Die beiden Männer sprachen sehr laut, Pröckl mit seiner schrillen, schreienden, Tüverlin mit seiner gequetschten Stimme, so daß die anderen Gäste mißbilligend, gestört, amüsiert herschauten. Pröckl schlug mehrmals mit dem mächtigen Lederband der Shakespearischen Sonette, dem Geschenk des Kapitalisten Reindl, auf den Marmortisch. Sie sprachen von materialistischer Geschichtsauffassung, bürgerlicher und proletarischer Ideologie, von der parasitären Existenz des Künstlers in der heutigen Gesellschaft. Von der anschwellenden Völkerwanderung, von der Mischung europäischer Zivilisation und asiatischer Kultur, von den Fehlerquellen einer nur aufs Soziologische eingestellten Denkart. Sie redeten heftig, angeregt, tranken ziemlich stark, und manchmal hörte sogar einer dem andern zu. Schließlich verlangte Herr Tüverlin eine Postkarte, und auf dem nassen, klebrigen Marmortisch des Cafés Werdenfels schrieb Herr Jacques Tüverlin, zur Zeit in Garmisch-Partenkirchen,eine Postkarte an Herrn Jacques Tüverlin, zur Zeit in Garmisch-Partenkirchen, Palace-Hotel, folgenden Inhalts: »Lieber Herr Jacques Tüverlin, vergessen Sie nie, daß Sie nicht anlehnungsbedürftig sind und es also nicht nötig haben, klassenbewußt zu sein. Vergessen Sie nie, daß Sie nur dazu da sind, sich selbst und nur sich selbst auszudrücken. In aufrichtiger Verehrung Ihr redlichster Freund Jacques

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