Erfolg
der sie in kleinen Schlucken trank, schmeckte nicht gut; dennoch zeigte sich bereits am Grunde ihrer Tasse das beliebte Enzian- und Edelweißmuster aus den Süddeutschen Keramiken Ludwig Hessreiter & Sohn. Die Linien dieses Motivs mechanisch studierend, die gleichen langweiligen illustrierten Zeitungen immer von neuem durchblätternd, hatte sie gewartet. Randvoll von ihrem Erfolg bei dem Kronprinzen, stürmisch, sowie Tüverlin endlich kam, erzählte sie ihm jetzt. Er hörte halb hin, sagte: »Ja, ja«, äußerte einiges mild Abschätzige über den Prätendenten; war erfüllt von seinem Gespräch mit Kaspar Pröckl. Wie er sie hatte sitzen sehen, schön, groß, blühend, hatte er ein solches Bedürfnis gespürt, in sie die Gedanken und alle die Abwehr hineinzusprechen, die der gewalttätige junge Mensch in ihm aufgerührt hatte. »Verstehen Sie diesen Burschen?« sagte er. »Da ist der Kerl hundertmal lebendiger als das ganze Kroppzeug um ihn herum und verbohrt sich mit seinem heftigen Verstand gerade in einen Punkt. Wenn ein Mediziner oder ein Jurist von ihm verlangte, er solle die Welt ausschließlich vom medizinischen oder juristischen Standpunkt aus betrachten, dann haute er dem Kerl wahrscheinlich eine runter. Wenn ein Nationalökonom ihm das zumutet, sagt er ja. Er will nicht begreifen, daß Weltanschauung jenseits der Klasse erst anfängt. Ist es nicht ein prachtvolles Freiheitsgefühl, die in die modischen Klassenbegriffe Einsperrten von außen anzuschauen? Statt dessensperrt sich der Bursche, der es wahrscheinlich nicht nötig hätte, selber in sie ein.«
Johanna schluckte. »Es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis der Prinz wirklich eingreift. Ich habe in dieser Sache zwei Dutzend angeblich sehr wichtige Unterredungen gehabt, wo ich nichts anderes erzielte als Gerede. Jetzt endlich krieg ich Boden unter den Füßen. Verstehen Sie, Tüverlin, wie wichtig das für mich ist?«
»Wissen Sie«, sagte Tüverlin und schaukelte das Glas mit seinem Wermut, daß das Eis klapperte, »wenn der Mensch unbegabt wäre, dann wäre alles verständlich. Aber ich rieche es dem Rotzbuben an, daß er begabt ist. Muß sich der Esel dieser modisch bequemen Theorie an die Rockschöße hängen. Ich neige gewiß nicht zur Nervosität, aber sehen Sie, Johanna, das regt mich auf. Er lehne es ab, sagt er, auf dem abgesägten Ast der bürgerlichen Gesellschaft zu hocken. Mir, sagte ich ihm, mir genügt es, wenn ein Mensch, eine Begebenheit, eine Idee mein Lebensgefühl steigert. Das dann gebe ich weiter. Aber das findet dieser Bursche bürgerlich faul. So leicht macht er es sich nicht, sagt er. Er muß erst untersuchen, ob der Boden tragfähig für die Zukunft ist. Der Lausbub.«
Johanna hatte sich ungeheuer auf Tüverlin gefreut, hatte stundenlang auf ihn gewartet. Eigentlich hatte sie, seitdem sie in Garmisch war, darauf gewartet, mit Jacques Tüverlin über den Mann Krüger zu reden, über das, was sie getan hatte, wovon sie nicht wußte, ob es heroisch war, eigensinnig, dumm oder anständig. Merkte er nichts? Er schaute sie doch an, redete ihr doch ins Gesicht. Merkte er nicht, daß sie sich ihm anbot? Daß sie sich ihm an den Hals geschmissen hätte, wenn er nur auf sie einging? War er so blöd, daß er gar nichts sah? Ja, er war so blöd, da er Schriftsteller war. Alle die Erwiderungen, die er Pröckl gegenüber nicht hatte anbringen können, entweder weil sie ihm nicht eingefallen waren oder weil er sie im Augenblick nicht gut formulieren konnte, oder weil Unwesentliches an Stelle von Wichtigem sich vorgedrängthatte, alle diese Einwände formulierte er jetzt in scharfer Attacke vor der stummen, ablehnenden, gekränkten Johanna. Er fand gute Wendungen, wurde zusehends munterer, vergnügter. Ging über zu seinen Projekten. Erzählte ihr von einem Buch »Marx und Disraeli«, einem scharfen, wahrscheinlich sehr ungerechten Buch, das er demnächst veröffentlichen wird. Diese beiden Menschen, lebend in der gleichen Welt, in der gleichen Stadt, erlebend die gleichen Ereignisse, hatte er gemacht. Die historischen Ereignisse um sie herum gegeben, so nüchtern wie möglich, und dann gezeigt, wie völlig anders sie sich in den beiden Köpfen spiegeln. Ferner arbeitete er für den Rundfunk am Entwurf eines großen Spiels »Weltgericht«. Ein undeutliches jüngstes Gericht untersucht Begebenheiten aus dem Leben sogenannter repräsentativer Männer. Es hebt an eine Auseinandersetzung zwischen Menschen der gleichen Epoche, die aber
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