Erfolg
herüberzuziehen. Er gefiel ihr. Vielleicht auch war es möglich, ihn bei Gelegenheit an Johanna zurückzugeben, gewissermaßen als Tauschobjekt gegen Hessreiter. So saß sie bei ihm, üppig, kupferfarbig, freundlich beteiligt, unmerklich kämpfend, lächelnd, nicht glücklich.
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Projekt einer Katzenfarm
Dr. Siegbert Geyer, die dünnhäutigen Hände unterm Kopf verschränkt, lag in losem, schlampigem Hausrock auf der mit einer zerrissenen, grobstoffigen Decke belegten Ottomane. Das Gesicht war etwas voller geworden. Die Augen hielt er geschlossen; nachdenkend machte er kleine, malmende Bewegungen mit dem Kiefer, daß die schlechtrasierte Wange gleichmäßig zuckte. Die Möbel standen kahl und lieblos; auf dem Schreibtisch, über dessen unpraktische Proportionen er sich stets von neuem ärgerte, lagen verstreut Akten, Manuskriptblätter, Zeitungsausschnitte.
Dr. Geyer hatte beinahe alle anwaltlichen Dinge abgegeben, kümmerte sich wenig um politische Geschäfte, ging nicht aus seiner Wohnung. Aß, was die Haushälterin Agnes ihm vorsetzte. Er arbeitete an dem Manuskript »Geschichte des Unrechts im Lande Bayern vom Waffenstillstand 1918bis zur Gegenwart«. Den ganzen nervösen Fanatismus, den er an seine Beschäftigung zu hängen pflegte, warf er jetzt auf das Buch. Er hatte sich als Belohnung versprochen, wenn er mit dem Buch »Geschichte des Unrechts« zur eigenen Zufriedenheit zu Rande komme, dann werde er sein großes Lieblingswerk wieder vornehmen: »Politik, Recht, Geschichte«. Auf das höchste Brett des Aktenregals über seinem Schreibtisch, unerreichbar, hatte er das geliebte Faszikel gelegt. Da schaute es auf ihn herunter, ihn stimulierend.
Mit glühendem Eifer präparierte er seine Fälle für die »Geschichte des Unrechts« heraus. Er ging nicht ans Telefon, die Haushälterin Agnes hatte Auftrag, jeden abzuweisen. Einzige Erholung waren einige Seiten Tacitus, Macaulay. Selbst die Zeitungen häuften sich ungelesen, schon die zweite Woche. Er zwang seinen Vortrag zu klassischer Ruhe, Zorn und Hitze blieben unter der Oberfläche. Wissenschaftlich zeigte er Unrecht und Willkür auf, mit kalter Logik. Er wußte, das bayrische Unrecht jener Jahre war nur ein kleiner Teil des Unrechts, das allenthalben in Deutschland und auf der Welt geschah. Aber er spürte dieses Unrecht lebendiger als jedes andere, er spürte dahinter das große, gewalttätige Gesicht seines Feindes Klenk. Zigarrenasche, wenige Bücher, ein bißchen Rundfunkmusik, Stöße ungeöffneter Briefe, unberührter Zeitungen um sich, arbeitete er, mühte sich ab, allein mit seinen Gedanken. Feilte zu klassisch ruhiger Darstellung die »Geschichte des Unrechts im Lande Bayern vom Waffenstillstand 1918 bis zur Gegenwart«. Der Fall Krüger war winzig in der Fülle des Materials, ein Hügel im Hochgebirg, er nahm ihn nicht auf.
Für die Haushälterin Agnes war gute Zeit. Die verzottelte, gelbhäutige, dürre Frau schlich herum, hündisch beflissen, es dem Manne recht zu machen. Er ließ sich geduldig eine gewisse Ordnung aufnötigen. Sie konnte die Zimmer säubern, ihn zu regelmäßigen Mahlzeiten anhalten. Sie hatte den Mann für sich. Strahlend befolgte sie seine Weisung, ihn vor jeder Störung zu bewahren. Sperrte ihn ab. Die zweite Wocheschon hatte er, außer bei einem gelegentlichen Blick auf die Straße, keinen Menschen gesehen. Die Haushälterin Agnes ging so weit, seine Post zu erledigen. Kümmerte sich um seine Finanzen. Da er faul zu Hause herumsaß, statt Geld zu machen, mußte sie ihr Hirn anstrengen. Die Zeiten waren schwer, die Geldaufblähung verflüchtigte das gesparte Kapital zu Luft. Schon zahlte man für den Dollar um dreihundert Mark. Die Tätigkeit der Hausfrauen, die in jenen Zeiten zahllose Dinge des schlechtorganisierten Kleinlebens zu besorgen hatten, war aufreibend. Die Gelegenheiten, Nahrungsmittel und andere Dinge des Lebensbedarfs zu erhalten, waren spärlich, wollten rasch, umsichtig wahrgenommen sein. Geld, in dieser Woche nicht verwertet, konnte vielleicht schon in der nächsten nur mehr die Hälfte erkaufen. Die Verkäufer weigerten sich, die schlechte, einheimische Währung zu nehmen, lieferten vieles nur gegen ausländische Münze. Agnes, um für ihren Doktor gute Kost zu schaffen, schmeichelte aus dunklen, ländlichen Händlern teure Lebensmittel heraus, spähte nach immer neuen Möglichkeiten. Das erforderte Nerven, Talent zur Organisation, rasche Entschlüsse, ständige Bereitschaft. Auch auf der Börse
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